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Doktorarbeit vor 90 Jahren verteidigt

Otto von Habsburg promovierte vor 90 Jahren, am 27. Juni 1935, an der Universität Leuven.

Doktorarbeit vor 90 Jahren verteidigt

Otto von Habsburg promovierte vor 90 Jahren, am 27. Juni 1935, an der Universität Leuven.

Der ehemalige Thronfolger, der von 1929 bis 1940 mit seiner Familie in Belgien lebte, war Student der 600 Jahre alten Katholischen Universität Leuven. Er absolvierte sein Studium an der renommierten juristischen Fakultät der Universität, wo er Politik- und Sozialwissenschaften studiert hatte, und verfasste seine Doktorarbeit mit dem Titel „Coutumes et droits successoraux de la classe paysanne et l’indivision des propriétés rurales en Autriche” (Bräuche und Erbrechte der Bauernschaft und die ungeteilte Eigentümerschaft an ländlichen Grundstücken in Österreich). Er verteidigte seine Dissertation vor neunzig Jahren, am 27. Juni 1935. Sowohl die Dissertation als auch die Verteidigung erfolgten in französischer Sprache. Die Veranstaltung fand im Festsaal der Katholischen Universität Leuven statt, der gemeinhin als Lakenhal bezeichnet wird. Das Gebäude in der Naamsestraat 22 wurde 1317 für die Tuchweberzunft der Stadt erbaut, wird aber seit dem 15. Jahrhundert von der Universität genutzt.

An der Doktorprüfung nahm ein großes Komitee teil; zeitgenössischen Presseberichten zufolge waren zwölf Professoren der Fakultät anwesend.[1] Den Vorsitz hatte Léon H. Dupriez (1901–1986), Dekan und Professor für Wirtschaftswissenschaften, der fünf Jahre zuvor selbst promoviert hatte. Dupriez war auch kurzzeitig bei der Belgischen Nationalbank beschäftigt, arbeitete jedoch von 1930 bis 1972 ununterbrochen als Dozent an der Universität Leuven. Seine Karriere war von der Suche nach praktischen Lösungen und der effektiveren Nutzung statistischer Daten im Gegensatz zur abstrakten Wirtschaftswissenschaft geprägt. Seine Methoden beeinflussten die Dissertation von Otto von Habsburg. Dupriez stand dem damaligen belgischen Premierminister, katholischen Juristen und Politiker Paul van Zeeland (1893–1973), nahe, zu dem auch Otto von Habsburg gute Beziehung unterhielt.

Bei der Verteidigung der Dissertation waren neben dem Dekan auch beide Doktorväter Ottos anwesend. Aus Belgien reisten der flämische Politiker Frans L. Brusselmans (1893–1967), Professor für Rechtswissenschaften und Mitglied der Katholischen Partei und des Belgischen Bauervereins, sowie Max Sering (1857–1939), der renommierteste deutsche Agrarökonom seiner Zeit, an. Letzterer, der an der Universität Berlin lehrte, hatte die Arbeits Otto von Habsburgs viele Jahre lang verfolgt und ihn sogar nach Deutschland eingeladen, um das Quellenmaterial für seine Dissertation zusammenzusammeln. Markgraf Charles Terlinden (1876–1972), Professor für Geschichte an der Universität Leuven und Doktor der Rechts-, Politik- und Sozialwissenschaften sowie enger Freund der Familie Habsburg, nahm ebenfalls an der Verteidigung teil. Durch seine beiden Ehefrauen – seine erste Frau starb früh – gehörte Terlinden zur politischen Elite Belgiens und engagierte sich in zahlreichen öffentlichen Bewegungen, vor allem im Umfeld der katholischen Kirche. Sein Engagement für die europäische Einheit und seine stark antibolschewistischen Ansichten prägten Otto von Habsburg, der ihn bat, seine Dissertation zu lektorieren. In der veröffentlichten Fassung seiner Dissertation dankte er Markgraf Terlinden ausdrücklich für seine Hilfe, und 1954 verlieh Otto von Habsburg ihm in Dankbarkeit für seine Verdienste um die Familie den Orden vom Goldenen Vlies.

Anwesend war die gesamte Familie des ehemaligen Thronfolgers: seine Mutter, Kaiserin Zita, und Ottos sieben Geschwister. Die Doktorprüfung wurde von seiner ältesten Schwester, Erzherzogin Adelheid, die drei Jahre später an derselben Fakultät ihre Dissertation verteidigte, aufmerksam verfolgt. Mehrere weitere Verwandte waren ebenfalls anwesend, darunter Prinzessin Isabelle von Bourbon-Parma und Prinz Xavier von Bourbon-Parma. Aus Österreich kam Baron Hans Karl von Zeßner-Spitzenberg (1885–1938), Abgeordneter, Ökonom und Professor an der Universität Wien, der drei Jahre später Opfer des nationalsozialistischen Terrors wurde. Zu ihnen gesellten sich in Leuven Prinz Erwein Lobkowicz (1887–1965) und der Erzieher des österreichisch-ungarischen Thronfolgers, Graf Heinrich von Degenfeld (1890–1978). Ungarn wurde vertreten durch Graf János Zichy (1868–1944), ehemaliger Bildungsminister, der Otto von Habsburgs ungarischen Lehrplan zusammenstellte und Vorsitzender seiner Schulabschlussprüfungskommission war; Graf József Cziráky (1883–1960), legitimistischer Politiker, kaiserlich-königlicher Kammerherr und Verwalter der verbliebenen ungarischen Besitztümer der Habsburger, sowie Graf Géza Pálffy, ein Landbesitzer (1900–1952) und führendes Mitglied der ungarischen legitimistischen politischen Fraktion, und Miklós Griger, Abt und Pfarrer (1880–1938), der ebenfalls Royalist war und während dieser Zeit mehrere Amtszeiten als Mitglied der Nationalversammlung tätig war. Unter den benediktinischen Lehrern Otto von Habsburgs in Pannonhalma waren auch die Patres Jácint Weber (1876–1939) und Jákó Blazovich (1886–1952), die gekommen waren, um der Doktorprüfung ihres ehemaligen Schülers anzusehen.

Bischof Paulin Ladeuze, Rektor der Universität Leuven, begrüßte die Versammelten im Festsaal der Universität. Er begrüßte die Mutter des Kandidaten, Kaiserin Zita, herzlich.[2] Er erinnerte an die jahrhundertealten historischen Verbindungen zwischen Belgien (ehemals die Niederlande) und dem Haus Habsburg sowie an den Besuch von Infantin Isabella von Spanien, Tochter Philipps II., und ihrem Ehemann, Erzherzog Albert, auf dem Campus im Jahr 1617. Die beiden illustren Gäste waren einst in genau dem Saal empfangen worden, in dem Otto von Habsburg seine Doktorarbeit verteidigt hatte.

Nach den einleitenden Worten stellten die Gutachter ihre Bewertungen vor, und Professor Dupriez fasste die Rezension der 358-seitigen Arbeit zusammen. Otto von Habsburg antwortete auf die Kommentare in einer anderthalbstündigen, schlüssigen Präsentation, in der er die wichtigsten Schlussfolgerungen seiner Forschung zusammenfasste. Er argumentierte, dass es im grundlegenden nationalen Interesse liege, mittelständische Bauernhöfe in Familienbesitz zu erhalten, da dies auch dem Staat zugutekomme, da Kleinbauern sonst verarmen und „proletarisiert“ würden, was schwerwiegende soziale Folgen haben könnte. Die Kommission akzeptierte die Antworten des ehemaligen Thronfolgers.

Im zweiten Teil der mündlichen Prüfung musste Otto von Habsburg seine Kenntnisse zu drei Themen im Zusammenhang mit dem Thema seiner Dissertation unter Beweis stellen. Zunächst musste er die wirtschaftlichen Entwicklungen der Donau-Länder und mögliche Formen der Zusammenarbeit erörtern. Anschließend befasste er sich mit dem Demokratiebegriff in der neuen österreichischen Verfassung. Schließlich wurde Otto von Habsburg gebeten, seine Meinung zu den Aufforstungsplänen für die Ungarische Tiefebene und den Dilemmata des Planwirtschaftssystems zu äußern. Wie der ehemalige Thronfolger später berichtete, hatte er zur Vorbereitung seiner Dissertation zahlreiche Werke ungarischer Dorfforscher gelesen.[3] Um seine Dissertation fertigzustellen und sich gründlich vorzubereiten, zog er sich in Begleitung von Graf Degenfeld aus Steenockerzeel in die Küstenstadt Wenduyne zurück,[4] wo er sich ausschließlich auf seine Aufgabe konzentrieren konnte. So wurde seine Doktorarbeit veröffentlicht und vom Prüfungsausschuss gelobt.

Die Professoren waren auch mit seinen Antworten zu den drei Themen zufrieden, und die Kommission empfahl einstimmig eine hervorragende Note. Otto von Habsburg schloss sein Studium mit Auszeichnung ab, bestand seine Abschlussprüfung mit Bravour und erhielt die Bestnote für seine Dissertation. Darüber hinaus wurde dem ehemaligen Thronfolger die seltene Ehre zuteil, dass die Bewertung den Zusatz „avec la plus grande distinction” („mit höchster Auszeichnung”) enthielt. Die Verleihungszeremonie wurde vom hochgeschätzten Rektor der Universität, Bischof Ladeuze, vorgenommen, woraufhin die Professoren Otto von Habsburg einzeln gratulierten. Am Abend der akademischen Feier wurde der Erzherzog bei einem Bankett in Steenockerzeel, im Schloss Ham, gefeiert. In seiner Tischrede betonte Erzherzog Robert, dass sein Bruder der erste Thronanwärter der Habsburger war, der aus eigenem Recht einen Doktortitel erhielt. Einer seiner Lehrer fügte hinzu, dass er wahrscheinlich der erste königliche Erbe der Welt sei, der den höchsten akademischen Grad auf ordentlichem Wege erworben habe.

Die Auszeichnung Otto von Habsburgs vor 90 Jahren markierte den Beginn einer neuen Ära, in der die Abstammung allein nicht mehr ausreichte, um akademische Titel zu erlangen. Die vom ehemaligen Thronfolger analysierten wirtschaftlichen und sozialen Fragen sollten auch in seinem weiteren Leben eine entscheidende Rolle spielen.

 

Gergely Fejérdy

 

[1] Hogyan tette le Ottó király doktori vizsgáját a louvaini egyetemen. [Wie König Otto seine Doktorprüfung an der Universität Leuven bestand.] Magyarság, 2. Juli 1935, 8.
[2] L’archiduc Otto Docteur en Science Politiques et Sociales de l’Université de Louvain. [Erzherzog Otto, Doktor der Politik- und Sozialwissenschaften, Universität Leuven.] La Libre de Belgique, 30. Juni 1935, 6.
[3] Habsburg, Ottó: Hogyan tanultam meg magyarul? [Wie habe ich Ungarisch gelernt?] Új Európa, 1962, 7, 5–6.
[4] Csonka, Emil: Habsburg Ottó. Egy különös sors története. [Otto von Habsburg. Die Geschichte eines seltsamen Schicksals.] München, Új Európa, 1972, 70.