,,Was uns Europäer voneinander trennt, ist viel bedeutungsloser, als was uns verbindet. Unsere Geschichte, unser religiöser Glaube, unsere Kultur, das Wirtschaftssystem und die Realitäten der gut verstandenen Politik verbinden uns – also quasi alles, was im Leben der Nationen zählt.“
Am 11. Januar 1952 hielt Otto von Habsburg eine Rede über die Lage des Alten Kontinents – am gleichen Tag als der Bundestag die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl,[1] die auf den Schuman-Plan zurückging und durch die Pariser Verträge ins Leben gerufen wurde, ratifizierte. Die obengenannten Gedanken stammen aus diesem Vortrag.
,,…nur eine starke Nation, nur ein starker Kontinent hat Chancen zum Überleben, nur diejenige, die die Bequemlichkeit des Moments für die große nationale Ansprüche der Verteidigung opfert.“
Als Mitglied der Paneuropa-Bewegung engagierte sich der ehemalige Thronfolger schon im Jahre 1936 für die europäische Integration. Nach dem zweiten Weltkrieg, in der Zeit des kalten Krieges hielt er für besonders wichtig, dass diejenige, die sich nach dem langsam beginnenden westeuropäischen Aufbau strebten, die Völker hinter dem Eisernen Vorhang auch nicht vergessen. Otto von Habsburg sprach über die Einheit unseres Kontinents am 11. Januar 1952 nicht zum ersten Mal. Er äußerte sich schon darüber im September 1951, im Rahmen des Treffens der bayerischen Abendländischen Aktion, im Schloss Zell und analysierte die Frage nochmal in diesem Jahr, in der Sitzung der Französischen Geographischen Gesellschaft.[2] In dieser Sitzung betonte er Folgendes: ,,Solange Westeuropas Sicherheit garantiert ist, muss die Vereinigung des Kontinents unter Einsatz aller Kräfte unterstützt werden. Die Westunion hat nämlich nur dann Sinn, wenn sie der Vorläufer einer richtigen europäischen Einheit sein kann.“[3]
Die deutschen und französischen – vor allem katholischen und föderalistischen – Kreisen luden Otto von Habsburg gerne ein, um seine Gedanken im Zusammenhang mit der Zukunft Europas mitzuteilen. Seine Rede am 11. Januar 1952 hielt er schon aber vor einem größeren Publikum, und der Vortrag enthielt schon ein ausgereiftes Konzept. Die Rede fand in Paris, in dem besonders eleganten Klub Cercle de l’Union interalliée statt. (Dessen Gebäude heißt Hôtel Perrinet de Jars, und befindet sich in dem achten Bezirk der französischen Hauptstadt, unter der Adresse Faubourg-Saint-Honoré Straße 33.) In dem imposanten Palais aus dem 18. Jahrhundert befand sich die französische Botschaft des Russischen Reiches zwischen 1849 und 1864, dann wurde das Gebäude von der Familie Rotschild gekauft. Das neu gegründete Klub Cercle de l’Union interalliée – das die Zusammengehörigkeit der Entente verstärkt – kaufte das Palais im Jahre 1917, und besitzt es bis zum heutigen Tag.
,,In der Politik gibt es nichts Gefährlicheres, als die künstliche, nur mit Gewalt erzwungene Lösung.“
Otto von Habsburg bereitete sich für den Anlass gründlich vor. Er hat seine Rede im Voraus geschrieben, und schickte sie seinem engen Freund, Professor Paul Lesourd.[4] Der Historiker, Schriftsteller und Publizist, der in dem Pariser Institut Catholique unterrichtete, fand seinen Vortrag so motivierend, dass er vorschlug: die Rede auch in gedruckter Form zu veröffentlichen. Lesourd war einer der Gründer, später Generalsekretär des Internationalen Komitees für die Verteidigung der Christlichen Zivilisation (Comité international de défense de la civilisation chrétienne), also empfahl diese Organisation als Verlag. Otto von Habsburg freute sich über die Idee sehr, da das Komitee als Protest gegen die Verhaftung und Verurteilung des ungarischen Kardinals und Erzbischofs József Mindszenty ins Leben gerufen wurde. Der Präsident der Organisation war der belgischen Außenminister, Paul van Zeeland.
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Das kleine Heft wurde in 250 Exemplaren veröffentlicht[5] – unsere Stiftung bewahrt das Exemplar mit dem Ordnungsnummer 163. Es hat geholfen, Otto von Habsburgs Gedanken für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich zu machen, obwohl an dem Vortrag viele, später bedeutende französische öffentliche Persönlichkeiten und mitteleuropäische politische Flüchtlinge teilnahmen. Die genaue Liste der Teilnehmer steht nicht zu unserer Verfügung, aber da das Fédération (die französische föderalistische Bewegung) keine Sympathie für politische Parteien hatte und unabhängig war, François Mitterrand, Antoine Pinay, René Coty, Maurice Schumann, Henry Petiot (alias Daniel-Rops), und Gabriel Marcel waren Mitglieder.
Otto von Habsburg schickte seine Rede an György Bakách-Bessenyey (ehemaliger Botschafter in Bern, der außenpolitische Beauftragte des Ungarischen Nationalkomitees in New York), und fragte ihn nach seiner Meinung. Außerdem teilte Otto mit, dass er den Artikel des emigrierten Politikers aus der Zeitung Hungária zur Vorbereitung seiner Rede verwendet hat.[6]
,,Die richtig große Staatsmänner der Historie sind immer diejenige, die dauerhaften Frieden geschaffen haben, und weise genug waren, um ihre Siege einzuschränken.“
Vor einem größeren Publikum teilte Otto von Habsburg seine Gedanken im Zusammenhang mit Europa zuerst in seinem Vortrag in Paris. Diese Rede diente später als Muster, wann immer er sich über die Zukunft des Alten Kontinents äußerte. Er betonte, dass es wichtig ist, die natürlichen Grenzen der westlichen Zivilisation zurückzugewinnen, und dass es notwendig ist, uns auf den dafür nötigen Kampf vorzubereiten. Stalins Reich hat Russlands traditionelle Grenzen schon weit überschritten – er betonte – und gefährdet damit Europas Existenz. Otto von Habsburg machte darauf aufmerksam, dass der westeuropäische Aufbau nicht selbstzwecklich sein darf, und kann sich nur so entfalten, wenn er sich auf die ,,richtige“ europäische Einheit vorbereitet, also auf die langfristige Integration der mittel- und osteuropäischen Region. Seiner Ansicht nach darf sich die westliche Zivilisation mit der Aufrechterhaltung des Status quos des Kalten Krieges nicht abfinden, da sie auch zu der Auflösung Europas führen kann. Der Alte Kontinent darf sich weder dem Russischen Reich noch den Vereinigten Staaten preisgeben, er muss aber mit der Unterstützung der Einheit seine Rolle und seinen Spielraum in der Weltpolitik zurückgewinnen.
Fast vierzig Jahren bevor die Sowjetunion zerfiel, Otto von Habsburg dachte Folgendes: Eines Tages wird der Moment kommen, in dem man bereit sein muss, Mittel- und Osteuropa zu integrieren, weil wenn es nicht stattfindet, alle westliche Bemühungen werden sinnlos. Seiner Meinung nach muss der West seine Bequemlichkeit für die Bewahrung der europäischen Zivilisation opfern. Die internationale Weltordnung, die während des ersten und zweiten Weltkrieges entstand, muss überprüft werden. Er betonte, dass man solche Grundlagen für die Zukunft legen muss, die einen langfristigen Frieden garantieren. Einen solchen Frieden, in dem der Sieger und der Besiegte einen Bund schließen können. Über Ost- und Mitteleuropas Mission, genauer gesagt über die Mission der Donaubecken sprach er auch. Außerdem erwähnte er, wie wichtig es ist, diese Region in die Bundsysteme zu integrieren – während man die lokalen Gegebenheiten auch in Betracht zieht. Otto von Habsburgs Rede stellt ein solches Europabild vor, die aus mehreren größeren, föderalistischen Einheiten besteht, aber sowohl das historische, religiöse und kulturelle Erbe als auch die nationale Zugehörigkeit und das Subsidiaritätsprinzip vor Auge hält.
,,Die heutigen europäischen Staaten sind zu klein, um Führungspositionen zu haben; vereinigt können sie aber eine Weltmacht werden, die von allen akzeptiert und respektiert wird.“
Zweiunddreißig Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer – während sich die aktuelle Weltordnung rasant verändert und ein blutiger Konflikt an der östlichen Grenze der Union tobt – ist es wert, die Gedanken des Nachkommens einer mehrere hundert Jahre alten europäischen Dynastie zu überlegen. Besonders, wenn diese Gedanken in unseren heutigen Dilemmas als Kompass dienen können.
Gergely Fejérdy
[1] Morten Rasmussen – Ann-Christina L. Knudsen (ed.): The Road to a United Europe. Interpretations of the Process of European Integration. Bruxelles, P. I. E. Peter Lang, 2009, 47.
[2] Philippe Chenaux: Une Europe vaticane? Entre le Plan Marshall et les Traités de Rome. Louvain-la-Neuve, Ciaco, 1990, 104.
[3] Otto de Habsbourg: Position de l’Europe. Fédération, 1951, août–septembre, 452.
[4] Habsburg Ottó Alapítvány, Habsburg Ottó Gyűjtemény, HOAL-I-2-b, Paul Lesourd, Clairefontaine, 1952. január 10. (az iratanyag rendezés alatt)
[5] Otto de Habsbourg: Conception de l’Europe. Paris, Comite internat. de defense de la civilisation chretienne, 1952.
[6] Magyar Nemzeti Levéltár Országos Levéltára (MNL OL) Családok, személyek, testületek és egyesületek iratai, személyi fondok: Bakách-Bessenyey György hagyatéka (1943–1958) (P 2066) 2. doboz 25. tétel, f.107.