Ich hatte schon lange vor, Meiningen zu besuchen – eine kleine Stadt mit knapp 30.000 Einwohnern, die früher zu Franken gehörte, später aber an Thüringen angeschlossen wurde und damit nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der sowjetischen Besatzungszone der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurde. Da die Stadt während des Kalten Krieges in dem Grenzgebiet lag, hätte ich sie nur mit einer Sondergenehmigung besuchen können. Diese zu beantragen versuchte ich während meiner Studienzeit im nahegelegenen Jena aber nicht. Entsprechend ihrer Isoliertheit ist sie von den typischen ,,Errungenschaften“ der sozialistischen Stadtplanung nicht geprägt und hat ihren traditionellen Charakter aus dem 18-19. Jahrhundert völlig bewahrt, einschließlich des Schlosses Elisabethenburg, das Ende der 1600-er Jahre gebaut wurde.
Dies war die alte Heimat der Familie Sachsen-Meiningen, mit allen traditionellen Merkmalen kleiner deutschen Fürstentümer, vor allem aber mit einem kulturellen Ehrgeiz, der weit über die Größe des Ortes hinausging. Der bedeutendste Vertreter dieser Ambition war Herzog Georg II. (1826-1914), dessen Engagement für das Theater ihn nicht nur zum Aufbau eines modernen Theatergebäudes motivierte, sondern als vielseitig begabter Aristokrat auch als Kostüm- und Bühnenbildner und – und das war die eigentliche Innovation – als Regisseur einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Ihm verdankt die Theatergeschichte die Schaffung der Grundlagen des modernen Theaters, des sogenannten „Meiningenismus“, der auch so bedeutende Theaterkünstler wie Konstantin Sergejewitsch Stanislawski und Max Reinhardt beeinflusste. Georg II sammelte die besten Musiker an seinem Hof zusammen: Franz Liszt konzertierte in Meiningen, Johannes Brahms und Richard Wagner waren regelmäßig zu Gast, das Theaterorchester wurde von Hans von Bülow (Liszts Student und Schwiegersohn) geleitet, und ein Jahr lang war der junge Richard Strauss der Dirigent. Das Ensemble von Georg II. tourte regelmäßig durch ganz Europa und führte mehrmals in Ungarn Shakespeare und deutsche Klassiker, aber auch Werke von Schiller und Kleist auf. Der Theatergründer war der Urgroßvater der 1925 geborenen Regina und obwohl die Familiengeschichte oft eine tragische Wendung nahm, war das inspirierende Umfeld entscheidender Einfluss für Otto von Habsburgs zukünftige Gattin.
Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen | Regina von Sachsen-Meiningen und Otto von Habsburg |
Nachdem Philipp Adlung, der Direktor des Meininger Museums, das sporadisch restaurierte Gebäude uns gezeigt hat, vereinbarten wir, dass wir zu ihrem 100. Geburtstagsjubiläum im Jahre 2025 eine Kammerausstellung über das Leben von Prinzessin Regina und das Verhältnis des Herzogtums zu Ungarn zusammenstellen. Die Verbundenheit mit ihrer Heimat spiegelt sich auch darin wider, dass obwohl ihr Sarg nach dem Tod ihres Mannes in der traditionellen Begräbnisstätte der Habsburger, in der Kapuzinergruft in Wien beigesetzt wurde, blieb Reginas Herzurne neben der Asche ihrer Brüder und Eltern in der Veste Heldburg. Dieses ritterliche, burgähnliche Gebäude erhielt seine heutige Form während der Herrschaft des „Theaterherzogs“ Georg II. und vermittelt mit seinen historistischen Türmen und Vorsprüngen eine mittelalterliche Atmosphäre. Das Schloss war Reginas Lieblingsaufenthaltsort in ihrer Kindheit. In dem ehemaligen Schlafzimmer ist heute eine Ausstellung über die Familie Sachsen-Meiningen zu sehen. Während der kommunistischen Diktatur war das Gebäude ein Waisenhaus, dann brannte es teilweise ab; nach der Wende wurde es renoviert und beherbergt seit einigen Jahren eine moderne Ausstellung zur deutschen Burgarchitektur. Mit dem Burgleiter, Björn Chilian, haben wir darüber diskutiert, wie man Regina im Jahre 2025 in Heldburg gedenken könnte, möglicherweise in Verbindung mit einem Gedenken an den 35. Jahrestag der Wende und die Rolle Ungarns bei der Grenzöffnung. Björn Chilian, der in Heldburg geboren und aufgewachsen ist, sagte, dass es im Dorf noch einige älteren Menschen gibt, die von ihrer Beziehung zur Herzogfamilie und der Aufmerksamkeit erzählen könnten, die dem Leben von Regina, die in den Rang einer „kaiserlichen, königlichen Gemahlin“ erhoben wurde, gewidmet war.
Ich bin mir sicher, dass durch die Zusammenarbeit mit den Meiningern unser Wissen über unseren Namensgeber und seine Familie noch um viele interessante historische, politische und kulturelle Kenntnisse erweitert werden kann.
Gergely Prőhle