„Paneuropa ist ganz Europa“, lautet der legendäre Ausspruch von Otto von Habsburg, der selbst angesichts der Realitäten und der geopolitischen Gegebenheiten des Kalten Krieges deutlich machte, dass die Integration des Kontinents ohne den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder bei weitem noch nicht vollständig ist. Während seiner langen öffentlichen Laufbahn widmete der ehemalige Thronfolger daher den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang besondere Aufmerksamkeit, darunter den baltischen Staaten, die Teil der sowjetischen Interessens- und Staatensphäre waren, und wurde zu einem der engagiertesten Befürworter ihrer Souveränität und später ihrer Integration in die Europäische Gemeinschaft. Dieses politische Erbe wurde durch eine in Zusammenarbeit mit der Botschaft in Riga organisierte Konferenz gewürdigt, bei der wir unsere Ausstellung über das Leben und Lebenswerk unseres Namensvetters auch in der lettischen Hauptstadt präsentierten.
Vor der Veranstaltung gab es eine Gedenkmesse, die vom Erzbischof von Riga, Zbigņevs Stankevičs, in der katholischen St.-Jakobs-Kathedrale zelebriert wurde, die im Laufe der Jahrhunderte mehrmals den Besitzer gewechselt hatte. Der vorgelesene Abschnitt des Evangeliums über das Kommen des Reiches Gottes (Lukas 17, 20-25) passte besonders gut zu diesem Anlass, da sie stark mit dem Lebenswerk von Otto von Habsburg in Verbindung stand. Der Politiker war zutiefst davon überzeugt, dass das „himmlische Jerusalem“ nicht nur eine ferne Hoffnung für den Christenmenschen, sondern auch eine alltägliche Realität sei, und er betrachtete seine beharrliche Arbeit für dieses Ziel als eine tief empfundene Berufung und als solche als eine öffentliche und politische Pflicht.
In seiner Eröffnungsrede dankte Uldis Zariņš, Direktor der Universitätsbibliothek, der Botschaft für die Organisation der Veranstaltung und betonte die besondere Bedeutung der Konferenz in einer Woche, in der die Letten den Unabhängigkeitstag des Landes feierten. Er wies darauf hin, dass Lettland mit seinem Beitritt zur Europäischen Union Teil eines starken Bündnisses geworden sei, bei dessen Verwirklichung Otto von Habsburg eine herausragende Rolle gespielt habe.
In seiner Eröffnungsrede erinnerte György Urkuti, Botschafter Ungarns in Lettland, an die Gedenkmesse vor der Konferenz und wies auf den Fleiß hin, mit dem Otto von Habsburg sein Wissen und seine Talente für den Aufbau des Reiches Gottes auf Erden einsetzte. Er betonte, dass eines der Ziele der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft darin bestehe, solche Persönlichkeiten vorzustellen, die eine entscheidende Rolle bei der Schaffung der europäischen Einheit und der gemeinsamen Freiheit gespielt hätten. In dieser Hinsicht war Otto von Habsburg einer der prägendsten Politiker, dessen Aktivitäten einen entscheidenden Einfluss auf die jüngste Geschichte Mittel- und Osteuropas, einschließlich des Baltikums, und auf die Entwicklung der europäischen Integration hatten.
Iveta Reinholde, Vizedekanin der Universität Lettlands, betonte, dass Unabhängigkeit kein statischer Zustand sei, sondern kontinuierliches Handeln erfordere – sie müsse geschützt und aufrechterhalten werden. Otto von Habsburg war diesem Ansatz verpflichtet und unterstützte die Wiederherstellung der Souveränität der baltischen Staaten, in denen der Kampf für die Freiheit oft besonders aussichtslos schien.
Einer der direkten Zeugen von Otto von Habsburgs Bemühungen für die baltische Sache war Egils Levits, ehemaliger Präsident der Republik Lettland. Der Politiker beschrieb unseren Namensgeber als eine außergewöhnliche Persönlichkeit und einen herausragenden Politiker, den er als junger Jurist in deutscher Emigration kennengelernt hatte. Und kurz nach ihrer ersten Begegnung spielte Levits eine Schlüsselrolle bei der Vorbereitung und Ausarbeitung eines der ersten parlamentarischen Vorschläge zu den baltischen Staaten von Otto von Habsburg, der zu diesem Zeitpunkt bereits als MdEP tätig war. Der von dem Parlament angenommene Vorschlag war nicht nur von symbolischer Bedeutung, sondern trug auch dazu bei, dass am Ende der Sowjetherrschaft in der Region keine neue Staatsgebilde, sondern Nachfolgestaaten der unabhängigen Länder der Zwischenkriegszeit mit derselben territorialen Kontinuität entstanden. Der Redner lobte das politische Genie Otto von Habsburgs, der als Vertreter der Christlich-Sozialen Union in Bayern die baltische Frage im Rahmen der Kolonialismus-Debatte angesprochen und damit erfolgreich auch einen Teil der linken politischen Fraktionen angesprochen habe. Seine Zusammenarbeit mit dem deutschen Sozialdemokraten Hans-Joachim Seeler sei ein beispielhaftes Zeichen für die Zusammenarbeit über politische Bruchlinien hinweg gewesen. „Otto von Habsburg war ein proeuropäischer Konservativer und man könnte sagen, dass er ein Symbol der europäischen Einheit war“, schloss der ehemalige Präsident der Republik.
Bence Kocsev, Mitarbeiter unserer Stiftung, wies zu Beginn seines Vortrags auf die besondere Aktualität des Themas hin und erinnerte daran, dass in diesem Jahr der 45. Jahrestag der ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament und der Wahl von Otto von Habsburg zum Europaabgeordneten begangen wird. Er betonte, dass der ehemalige Thronfolger visionär vorausgesehen habe, dass das kommunistische Regime in Mittel- und Osteuropa zwar scheinbar unangreifbar, aber langfristig nicht tragfähig sei, und dass er mit dieser Überzeugung daran gearbeitet habe, diese Länder so schnell wie möglich von den sowjetischen Fesseln zu befreien. Obwohl Otto von Habsburgs bedeutendste Erfolge in der baltischen Frage als Mitglied des Europäischen Parlaments erreicht wurden, hatte er sich schon lange zuvor mit dem Schicksal der Region befasst. Die von ihm geprägten konservativen und christdemokratischen Netzwerke standen bereits seit den 1960er Jahren in Kontakt mit baltischen Dissidentenorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten, und er selbst hatte bereits während des Zweiten Weltkriegs einige der Exilpolitiker kennengelernt. Während seiner Amtszeit im Europäischen Parlament von 1979 bis 1999 hat Otto von Habsburg nicht nur durch die Geste des „leeren Sitzes“, sondern auch als parlamentarischer Berichterstatter beträchtliche Erfolge erreicht, indem er das Thema der baltischen Staaten von einem Anliegen einiger weniger Dissidentengruppen zu einem Teil des europäischen und internationalen politischen Diskurses machte.
Eduard Habsburg-Lothringen, Botschafter Ungarns beim Heiligen Stuhl, sprach über den ehemaligen Thronfolger, die von ihm vertretenen Ideen und seine Gedanken zu Europa und betonte, wie die eng mit der Geschichte des Kontinents verwobene Familiengeschichte die Vision Otto von Habsburgs von Europa geprägt hat. Er erinnerte daran, wie er als junger Mann, der dem ungarischen Zweig der Familie angehörte, aber aufgrund der Teilung durch den Kalten Krieg in Deutschland lebte, tief vom Optimismus und der Vision unseres Namensgebers beeinflusst wurde. In der Entwicklung seines politischen Denkens sei Otto von Habsburg für ihn ein wahrer Gigant gewesen, dessen Horizont und weitsichtiges Denken weit über die Möglichkeiten und Grenzen seiner Zeit hinausgingen. Zum Abschluss seines Vortrags erinnerte der Erzherzog an das Paneuropäische Picknick im Sommer 1989, an dem er selbst teilgenommen hatte und an dessen Vorbereitung Otto von Habsburg maßgeblich beteiligt war. Dieses Ereignis war nicht nur symbolisch bedeutsam, da der Kalte Krieg gerade zu Ende ging, sondern markierte auch einen konkreten Schritt in Richtung des Falls des Eisernen Vorhangs und trug zur Wiedervereinigung der westlichen und östlichen Hälfte Europas bei.
Gunārs Nāgels, der ehemalige Direktor des Museums der Okkupation Lettlands in Riga, präsentierte die Wahrnehmung Otto von Habsburgs in seiner Heimat durch die lettische Presse. Die ersten Nachrichten über den kleinen Thronfolger erschienen sehr früh und wurden dann während des Aufstiegs des Nationalsozialismus und der turbulenten Zeiten der österreichischen Innenpolitik häufiger. Während des Kalten Krieges erregte der ehemalige Thronfolger in den lettischen Medien noch mehr Interesse. Der Vortragende wies auch auf den Unterschied zwischen der Wahrnehmung Otto von Habsburgs in der sowjetischen Presse und in der lettischen Emigrantenpresse hin: Während die sowjetische Presse unter Verwendung der Slogans der Verleumdungskampagne von Willy Brandt seine Kandidatur für das Europäische Parlament vehement ablehnte und später seine Bemühungen um die Unabhängigkeit der baltischen Länder als Wunschdenken darstellte, begrüßte die Emigrantenpresse seine Arbeit und betonte, dass Otto von Habsburg die Legitimität der sowjetischen baltischen Staaten immer abgelehnt habe.
Rajmund Fekete, Direktor des Instituts zur Erforschung des Kommunismus in Ungarn, analysierte die Umsetzung und Verbreitung der kommunistischen Ideologie im Alltag. Er zeigte, wie das totalitäre System in die intimsten Lebensbereiche der Menschen eindrang und das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Struktur der betroffenen Länder veränderte. Er betonte, dass die westlichen Länder zwar nicht die tägliche Realität der kommunistischen Ideologien erleben mussten, ein Verständnis dieser historischen Erfahrung in Mittel- und Osteuropa für die europäischen Nationen jedoch unerlässlich sei, um die Vergangenheit und Gegenwart der anderen zu verstehen. In dieser Hinsicht ist Otto von Habsburgs Arbeit besonders beispielhaft, da er einer der wenigen Menschen auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhangs war, der die tägliche Realität des Kommunismus durchblickte und unermüdlich daran arbeitete, die Unterdrückung unter kommunistischen Regimen zu einem wichtigen Teil des gemeinsamen europäischen Geschichtsbewusstseins zu machen.
Der mehrtägige Aufenthalt der Kollegen unserer Stiftung (Laura Balázs und Bence Kocsev) in Riga bot eine hervorragende Gelegenheit, Kontakte zu Sammlungen zu pflegen, wie z. B. den Besuch des Lettischen Staatsarchivs, wo sie die Möglichkeit hatten, nicht nur die Geschichte der Institution, sondern auch einige ungarnbezogene Materialien kennenzulernen. Ein besonders bemerkenswerter Teil der Archivsammlung ist das Material lettischer Auswanderer, die während des Zweiten Weltkriegs und der Sowjetzeit in den Westen auswanderten – diese werden gerade jetzt aufgearbeitet und digitalisiert. Dazu könnten sogar die Unterlagen von Personen gehören, die über einen kürzeren oder längeren Zeitraum mit unserem Namensgeber korrespondiert haben, was die Erforschung dieser Unterlagen zu einer spannenden beruflichen Aufgabe für die Zukunft macht. Dieser Besuch wurde durch Māra Sprūdža, die Direktorin des lettischen Staatsarchivs, ermöglicht, die wir im Oktober bei ihrem Besuch in Budapest anlässlich des Treffens der europäischen Archivleiter kennengelernt hatten.