Nach unserer Kontaktaufnahme in Sankt Pölten im März 2025 und dem Forum in Göttweig im Juni fand am 4. November bereits zum zweiten Mal eine gemeinsame Veranstaltung statt, die von der Kulturabteilung der Niederösterreichischen Landesregierung und unserer Stiftung organisiert wurde. Diesmal fand die Podiumsdiskussion mit dem Titel „Otto von Habsburg – Staatsmann für die europäische Integration” im modernen Gebäude der Landesbibliothek statt, wobei der ehemalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der Journalist Reinhard Linke, Vorsitzender des Niederösterreichischen Kultursenats, und Gergely Prőhle, Direktor unserer Stiftung, teilnahmen. Anlass für den Gedankenaustausch war der 30. Jahrestag der EU-Mitgliedschaft Österreichs, aber wie Roman Zehetmayer in seiner Einleitung sagte, muss man auch an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor achtzig Jahren und an die Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags vor siebzig Jahren erinnern, um die Richtlinie der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu sehen. Otto von Habsburg war aktiv an den Ereignissen beteiligt, und sein Engagement für ein demokratisches Österreich verdient angemessene Würdigung – sagte in Vertretung der Landeshauptfrau Herrmann Dikowitsch, Leiter der Kulturabteilung der Niederösterreichischen Landesregierung, der Edit Szilágyiné Bátorfi, Botschafterin Ungarns in Wien, begrüßte und die Komplexität und Intensität der Beziehungen zwischen Niederösterreich und unserem Land würdigte. Wie er sagte, ist der in Reichenau geborene Otto von Habsburg ein Kind Niederösterreichs, aber das Land ist ohnehin auf vielfältige Weise mit dem Erbe der Habsburger verbunden.
Einleitend stellte Reinhard Linke die Entstehungsgeschichte unserer Stiftung vor und erwähnte, dass auch Österreich um den Erhalt des Nachlasses konkurriert habe, aber wie die aktuelle Veranstaltung zeigt, habe sich das Rivalisieren in den letzten Jahren zu einer hervorragenden Zusammenarbeit entwickelt.
Gergely Prőhle dankte Wolfgang Schüssel für die Annahme der Einladung und erinnerte daran, dass der ehemalige Bundeskanzler der Ehrengast war, als unsere Stiftung im Herbst 2019 die Tradition der Otto-Abendessen im Festsaal des Ungarischen Nationalmuseums wiederbelebte. Mit dieser Geste wollten wir zum Ausdruck bringen, dass wir unseren Namensgeber als Teil der ungarischen Geschichte betrachten, sein Vermächtnis jedoch als gemeinsames Erbe, und dass wir unsere Zusammenarbeit mit den österreichischen öffentlichen Sammlungen als selbstverständlich ansehen. Wir sind uns der historischen Bedeutung bewusst, die mit der Pflege des schriftlichen und geistigen Erbes des erstgeborenen Sohnes des letzten ungarischen Königs und österreichischen Kaisers verbunden ist, und konzentrieren uns in unserer Tätigkeit auf das Werk dieses Realpolitikers des 20. Jahrhunderts, der eine Schlüsselfigur der europäischen Integration war.
Auf die Frage, welche Botschaft Ottos Lebenswerk heute vermittelt, hob der Direktor unserer Stiftung die Unterstützung des Subsidiaritätsprinzips, das auch im Vertrag von Maastricht verankert ist, und das Streben nach einem funktionierenden Europa hervor. Gleichzeitig unterstrich er die Bedeutung der Tatsache, dass unser Namensgeber die Idee eines christlichen Europas nicht als politischen Slogan, sondern als Leitlinie für das tägliche Handeln verstanden hat. Wolfgang Schüssel würdigte Ottos auch im hohen Alter noch ausgeprägte Neugier und seine Fähigkeit, historische und politische Prozesse aus einer langfristigen Perspektive zu beurteilen und ihre langfristigen Folgen vorherzusagen.
Auf die Frage des Moderators, wie das demokratische Österreich das geistige Erbe des letzten Thronfolgers sehe, hielt sich der ehemalige Kanzler mit Kritik nicht zurück. Gleichzeitig erwähnte er, dass er die Kandidatur von Karl Habsburg-Lothringen für das Europäische Parlament im Namen der Österreichischen Volkspartei vorgeschlagen hatte, wodurch Vater und Sohn während einer Legislaturperiode „Sitzgenossen” im EP waren. Als Außenminister traten sie gemeinsam in zahlreichen Foren auf, um die EU-Mitgliedschaft Österreichs voranzutreiben, und während seiner Amtszeit als Kanzler feierten Regina und Otto 2001 auf seine Einladung hin ihre Goldene Hochzeit im Schloss Schönbrunn. Schüssel erinnerte an den französischen Widerstand gegen die Erweiterung Anfang der 90er Jahre, worauf Gergely Prőhle hinzufügte: Jean-Louis Bourlanges, einer der damaligen Anführer des französischen „Widerstands”, teilte bei seinem Besuch in unserer Stiftung ebenfalls seine Erinnerungen mit uns und hob Ottos Unbeugsamkeit in der Frage der Erweiterung hervor.
Unsere Wanderausstellung „Otto von Habsburg – Lebensweg und Vermächtnis” ist bis zum 12. Dezember im Lesesaal der Niederösterreichischen Landesbibliothek zu sehen.


