Nachrichten


Otto von Habsburg und der Tag des heiligen Stephans

Anlässlich des 20. August, dem Tag des Heiligen Stephans, der auch als ungarischer Staatsgründungstag bekannt ist, untersucht der folgende Artikel auf der Grundlage eines jahrhundertealten Tagebucheintrags die Verbindung zwischen unserem Namensgeber und dem ungarischen Nationalfeiertag und geht dabei auch der Frage nach, inwiefern Otto von Habsburg, der letzte ungarische Thronfolger, der Nachfolger der tausendjährigen Vision des ersten ungarischen Königs war.

Otto von Habsburg und der Tag des heiligen Stephans

Anlässlich des 20. August, dem Tag des Heiligen Stephans, der auch als ungarischer Staatsgründungstag bekannt ist, untersucht der folgende Artikel auf der Grundlage eines jahrhundertealten Tagebucheintrags die Verbindung zwischen unserem Namensgeber und dem ungarischen Nationalfeiertag und geht dabei auch der Frage nach, inwiefern Otto von Habsburg, der letzte ungarische Thronfolger, der Nachfolger der tausendjährigen Vision des ersten ungarischen Königs war.

Otto von Habsburg und seine Geschwister, 1924

„Wir sind eine einzigartige Nation in der Welt, weil der Heilige Stephan einen solchen Staat gegründet hat, der tausend Jahre lang überleben konnte.“

– sagte Otto von Habsburg in seiner Rede am 20. August 1994 in Nagymaros, also vor dreißig Jahren,[1] und zeigte damit, was für eine große Bedeutung er der Feier des Tages des Heiligen Stephans in Ungarn beimaß. Aber auch wenn er dazu nicht in der Lage war, gedachte er während seiner Zeit im Exil jedes Jahr dem Staatsgründer, dem ersten ungarischen König, dem Heiligen Stephan aus der Árpád-Dynastie.

Schon kurz nach dem Tod des Staatsgründers begann die bewusste Pflege seines Andenkens, wofür die nachfolgenden turbulenten Jahrzehnte und die Schwierigkeiten der Thronfolge eine geeignete Grundlage boten. Es war ein bemerkenswertes Verdienst von König Ladislaus I., dass Papst Gregor VII. am 20. August 1083 König Stephan heiligsprach – zusammen mit Gerhard, dem ehemaligen Bischof und Märtyrer von Csanád und dem früh verstorbenen Sohn von Stephan, Fürst Emmerich. Von da an trug der mit Stephan verbundene Gedanke des Regnum Marianum dazu bei, dass dieses Datum für das katholische Selbstverständnis des Landes besonders wichtig wurde und sich allmählich von einem katholischen Festtag in einen staatlichen Feiertag verwandelte. Im Jahr 1686 erhob Papst Innozenz XI. den heiligen Stephanus in den Rang eines Universalheiligen der Kirche. Im Jahr 1771 verfügte Papst Clemens XIV. jedoch, dass das Fest aus dem liturgischen Kalender gestrichen werden sollte. Er war es auch, der sich dafür einsetzte, dass die Gründerin des Hauses Habsburg-Lothringen, Maria Theresia, die Heilige Rechte Hand des Heiligen Stephans in ihre Heimat zurückbringen konnte und dass die Ungarn den 20. August weiterhin offiziell feiern konnten. Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 hob Franz Joseph das Verbot, den Tag des Heiligen Stephans zu feiern, auf und machte ihn 1891 zum gesetzlichen Feiertag. Im Gedenkjahr 1938 erklärte die Nationalversammlung den 20. August offiziell zum Nationalfeiertag, und nach dem „Intermezzo“ des Staatssozialismus wurde der Nationalfeiertag zu Ehren des Staatsgründers durch Artikel VIII des Gesetzes von 1991 wieder eingeführt.[2]

Auch der letzte Thronfolger des Hauses Habsburg-Lothringen, Otto von Habsburg, hatte viele Bezüge zu diesem Tag. Nach dem tragischen Tod des letzten ungarischen Königs, Karl IV., auf Madeira zog die königliche Familie 1922 zunächst nach Madrid und 1923 nach Lequeitio im Baskenland. Während des Exils waren unter anderem der ehemalige Hofpfarrer von Karl IV., Pál Zsámboky, und Benediktinermönche (Vendel Solymos, Róbert Vlasics) damit beauftragt, den kleinen Erzherzögen Ungarisch beizubringen. Dabei ging es nicht nur um das Erlernen der Sprache, sondern auch um das Kennenlernen der ungarischen Geschichte und der Bedeutung der nationalen Feiertage.

Die in unserer Stiftung aufbewahrten und derzeit in Aufarbeitung befindlichen Tagebücher sind die wichtigste Informationsquelle über die Exiljahre der kaiserlichen und königlichen Familie und geben einen detaillierten Einblick in den Alltag der Kinder und in die Vorbereitungen zum Tag des Heiligen Stephans. Eine weitere Besonderheit ist, dass diese Dokumente nicht nur von einer Hand stammen: Viele von ihnen wurden von Graf Heinrich August von Degenfeld-Schonburg, einem der treuesten Wohltäter der Familie, verfasst, während einige dieser Tagebücher von Gräfin Marie-Therese Korff Schmising-Kerssenbrock („Korffi“), einer der Gouvernanten der Kinder, geführt wurden.

Eines der Tagebücher, geschrieben von Heinrich Degenfeld-Schonburg im Jahr 1924, enthält Einzelheiten über seinen Aufenthalt in Lequeitio am 20. August. Vor hundert Jahren, anlässlich des Tages des Heiligen Stephans, unterrichtete der Lehrer, Vendel Solymos, den Kronprinzen und seine Brüder ungarische religiöse Lieder, die sie zwei Tage zuvor eingeübt hatten. Die ungarischen Lieder wurden während der Heiligen Messe am Festtag gesungen, begleitet von Pater Solymos auf dem Harmonium (Pumporgel).[3]

Otto von Habsburg und Vendel Solymos, 1930

Im Laufe der Jahre haben sich die Kinder daran gewöhnt, am Tag des Heiligen Stephans auf Ungarisch zu singen. Davon zeugt ein Tagebucheintrag einer der Hofdamen, Viktoria von Mensdorff-Pouilly, vom 20. August 1928: „Die Hoheiten opferten die hl Comunion auf zu Ehren des hl. Stefan für die Heimat und für sich, so auch die hl Messe mit einer Predigt von Pater Andlau. In der hl Messe wurden Ung. Lieder gesungen, die schon in den 2 letzten Tagen fleißig geübt werden u besonders S.M. gut kannte.“[4]

Es war auch seiner Erziehung zu verdanken, dass Otto von Habsburg die Bedeutung des Feiertages für die ungarische Identität gut verstand. Aus seiner späteren ungarischen Korrespondenz wissen wir, dass er nach der Wende häufig an den Prozessionen der Heiligen Rechten in Budapest teilnahm und mehrere Einladungen zur Teilnahme an den von den ungarischen Gemeinden zu diesem Anlass organisierten Feiern annahm[5], was zweifellos damit zusammenhing, dass König Stephan für Otto von Habsburg nicht nur ein Heiliger, ein ungarischer königlicher Präzedenzfall, sondern auch eine Person war, die ein vorbildliches Programm vorgegeben hatte. Stephan I. stärkte das Königreich Ungarn, indem er es fest in die westliche, lateinische christliche Gemeinschaft einbrachte. Dies entsprach dem Bestreben Ottos in den 1980er und 1990er Jahren, dass Ungarn seine Souveränität als Teil einer westlichen, demokratischen und die christlichen Werte verteidigenden europäischen Gemeinschaft wiedererlangen sollte.

Das Datum des Paneuropäischen Picknicks, das vor fünfunddreißig Jahren unter der Schirmherrschaft von Otto von Habsburg organisiert wurde und zum Fall des Eisernen Vorhangs führte, fiel nicht zufällig auf den 19. August. Die Öffnung der österreichisch-ungarischen Grenze am 20. August 1989 markierte den Beginn einer neuen Ära in der Geschichte der europäischen Nationen und trug dazu bei, dass Ungarn auf den Weg zurückkehrte, den der heilige Stephan mit seinem fast tausend Jahre alten politischen Credo vorgegeben hatte.

 

Péter Matolcsi

 


[1] Zitat aus einer Rede von Otto von Habsburg in Nagymaros, 20. August 1994. Ohne Verfasser: Lasst uns das Erbe des Heiligen Königs, den Glauben und die ungarische Nation hochhalten! Nagymarosi Hírek, 1994.09.01. 1.
[2] Zoltán Oszkár Szőts, Zoltán Oszkár Szőts: Augusztus 20. jelentésváltozásai – az ünnep története 1038-tól napjainkig. („Veränderungen in der Bedeutung des 20. August – Die Geschichte des Feiertags von 1038 bis heute“). Újkor.hu. 20. August 2022 (Quelle: https://ujkor.hu/content/augusztus-20-jelentesvaltozasai-az-unnep-tortenete-1038-tol-napjainkig. Letzter Zugriff am 10.08.2024.)
[3] „Heute, am Tage des hl. Stephan, empfingen S.M. u. Erzhg. Robert die hl. Kommunion während der von P. Solymos um 8h celebrierter hl. Messe. – Um 9h las P. Andlau die hl. Messe, während derselben wurden ungarische Lieder gesungen, P. Solymos spielte am Harmonium.” – HOAL I-1-d-35 6 May 1924 – 20 August 1924
[4] „Die Hoheiten opferten die hl Comunion auf zu Ehren des hl. Stefan für die Heimat und für sich, so auch die hl Messe mit einer Predigt von Pater Andlau. In der hl Messe wurden Ung. Lieder gesungen, die schon in den 2 letzten Tagen fleißig geübt werden u besonders S.M. gut kannte.” – HOAL I-1-d-40 19 August 1928 – 6 October 1928
[5] Über das Ereignis der Einleitung des Artikels hinaus hat die Stadtverwaltung von Tiszaújváros Otto, dem die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen wurde, zwischen 1995 und 2006 mehrmals zu den Feierlichkeiten zum 20. August eingeladen (HOAL I-2-c-Farkas Zoltán)