Die wenigen Privatbesuche vor dem Besuch am Ende Februar / Anfang März und der äußerst erfolgreicher Film über sein Leben – Von Gottes Gnaden – haben schon selbst großes Interesse erweckt, welches auch während des engen Zeitplanes mehrmals eindeutig war. Als Mitglied der Delegation des Europäischen Parlaments verbrachte der ehemalige Thronfolger 3,5 Tage in Ungarn. Unter anderem nahm er auch an Gespräche ministerialer Ebene teil, gab einige Interviews und führte Privatkonversationen mit verschiedenen öffentlichen Persönlichkeiten.
Im „Hauptquartier“ Hotel Gellért kam ein Fern-, und Radiokorrespondent nach dem anderen, beispielsweise Stäbe des amerikanischen ABC News, des deutschen ARDs und des Ungarischen Fernsehers. Organisiert von der Europäischen Kulturellen Gesellschaft hielt er einen Vortrag am 28. Februar im Restaurant Kárpátia für wichtige Figuren des ungarischen kulturellen und wissenschaftlichen Lebens. Am folgenden Morgen traf er Staatsminister Rezső Nyers, dann nach weiteren Besprechungen sah er sich mit den anderen Delegationsmitgliedern den Film Von Gottes Gnaden an. Die Filmvorführung fand in der Báthory Straße, im Vorführraum des sogenannten Generaldirektion für Filme von MOKÉP statt, wo übrigens die Mitglieder des Politischen Komitees – oft auch János Kádár selbst – noch vor kurzem einmal wöchentlich, Freitag oder Samstag nachmittags lustige Filme zum Spaß angesehen hatten. Danach gab es einen Empfang mit den Vertretern der ungarischen Filmindustrie und am Abend hielt Otto einen Vortrag im Rajk László Szakkollégium in der Horánszky (damals Makarenkó) Straße. An der ursprünglich für ein 150-200-köpfiges Publikum geplante Veranstaltung waren zirka 400 Menschen dabei – einige standen sogar auch auf der Fensterbank –, um an dem Vortrag und informellen Gespräch über das Thema „gemeinsame europäische Heimat“ teilzunehmen.
Am Morgen des 02. März traf Otto von Habsburg den Parlamentspräsident Mátyás Szűrös, dann auf Einladung des Ungarisch-jüdischen Kulturvereins hielt er einen Vortrag in dem ELTE Gólyavár für zirka 2000 neugierige und begeisterte Menschen. Über das einstündige Programm hat der Ungarische Rundfunk sogar eine Aufnahme gemacht. Das Gespräch war ein besonderes Phänomen der freien Meinungsäußerung seines Zeitalters, das die gerade verändernde politische Situation in Ungarn perfekt illustrierte. Unter anderem sprach er über seine Beziehung zu Ungarn, seine Staatsangehörigkeit, Möglichkeiten des europäischen Beitritts, die Situation in Transsilvanien und die Beziehung zu der Sowjetunion. In seinem Vortrag zeigte sich die ganze Zeit, dass er die Denkweise eines echten Europäers hatte, der sich für Ungarn und das einheitliche Europa engagiert. Die hier vorgestellte Fotoserie gibt Einblick in die Ereignisse dieser Tage und repräsentiert die euphorische Atmosphäre der Wende, die Otto von Habsburg im Frühling 1989 in Ungarn empfing.
Szilveszter Dékány