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Wird Europa vor Veränderungen stehen? – Rundtischgespräch über die Zusammensetzung des neu gewählten Europäischen Parlaments

Unsere Stiftung hat unter Beteiligung von Experten die Ergebnisse der Wahl zum Europäischen Parlament am 9. Juni ausgewertet.

Wird Europa vor Veränderungen stehen? – Rundtischgespräch über die Zusammensetzung des neu gewählten Europäischen Parlaments

Unsere Stiftung hat unter Beteiligung von Experten die Ergebnisse der Wahl zum Europäischen Parlament am 9. Juni ausgewertet.

In seiner Begrüßungsrede erinnerte Gergely Prőhle, Direktor der Stiftung, an die historische Tatsache, dass Otto von Habsburg fast auf den Tag genau vor 45 Jahren, am 10. Juni 1979, Mitglied des höchsten Entscheidungsgremiums des Kontinents wurde. Der ehemalige Thronfolger war von Natur aus selbstbewusst in einem demokratischen Umfeld und vertrat mit seiner ,,natürlichen Gelassenheit“ und seiner fließenden Kenntnisse von sieben Sprachen die Idee eines auf christlichen Werten basierenden Europas und trug so zur konservativen Wende der 1980er Jahre bei.

Der erste Redner war der Politologe Botond Feledy, der die Ergebnisse der Wahlen erläuterte: Er hob das Erstarken der Volkspartei und den sichtbaren Niedergang der Grünen und der Liberalen hervor. Der stellvertretende Direktor des Europäischen Sozialzentrums der Jesuiten beschrieb die Ereignisse, die das Leben auf unserem Kontinent in den letzten fünf Jahren tiefgreifend geprägt haben – die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Pandemie, der Krieg zwischen Russland und der Ukraine und der Green Deal – und die zu einer spürbaren Verunsicherung unter den Ideologen der verschiedenen politischen Bewegungen geführt haben. Selbst die Ansichten ein und desselben Lagers haben sich so weit auseinanderentwickelt, dass es noch schwieriger erscheint, in dem neuen Gremium einen großen Konsens zu bestimmten Themen zu finden, betonte er. Klimawandel, Krieg, soziale Solidarität, die wirtschaftliche Lage und die Migration erfordern jedoch dringend Lösungen.

István Hiller, Abgeordneter der MSZP (Ungarische Sozialdemokratische Partei) in der Nationalversammlung, räumte ein, dass das Eintreten für sozialdemokratische Grundsätze für einen ungarischen Politiker in diesen Tagen nicht gerade eine Herzensangelegenheit sei. Er betonte, dass die Europawahlen zwar auf kontinentaler Ebene stattfanden, die Auswirkungen dieser Wahlen jedoch in mehr als einem Mitgliedstaat zu spüren waren: In Belgien und Frankreich stürzten die Regierungen, und die Führer der gescheiterten Parteien traten massenhaft zurück. Um diese Phänomene zu interpretieren, stützte sich der Historiker auf die Forschungen einer neuen Bewegung, der Klimageschichte, die auffallende Parallelen zwischen den klimatischen Bedingungen und der Entwicklung der politisch-sozialen und demographischen Beziehungen in den letzten 1000 Jahren in Europa aufzeigt. Abschließend ging Hiller auf das massenpsychologische Konzept der ,,Kultur des Vergessens“ ein, das das gesellschaftliche Bewusstsein beeinflusst und die Erfahrungen der Menschen spätestens nach drei Lebenszeiten aus dem Gedächtnis wäscht. Dies könne (auch) die Ausbreitung des Kriegsdiskurses in Europa und die Verschärfung der Kriegsrhetorik erklären.

Der amtierende Fidesz-Abgeordnete betonte die hohe Wahlbeteiligung in ganz Europa und bezeichnete die ungarische Mitte-Rechts-Partei als eine Kraft, die die Parlamentswahlen in Ungarn auch heute mit 2/3 der abgegebenen Stimmen gewinnen würde. Enikő Győri blickte auf die Kämpfe der letzten fünf Jahre in Brüssel zurück, sprach das Thema Diskriminierung Ungarns an und sagte voraus, dass nichts in dieser Hinsicht in der nächsten Zeit sich ändern werde. Es gehe vor allem darum, in Zukunft möglichst noch konsequenter für die eigenen Überzeugungen einzustehen und die Interessen aller Ungarn zu vertreten, sagte sie. Sie fügte hinzu, dass es von entscheidender Bedeutung sei, ob wir während unserer am 1. Juli beginnenden Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union damit beginnen können, einige der uns am Herzen liegenden Fragen zu klären.

In den polemischeren Momenten der Diskussion kommentierten einige Gäste die Frage von István Hiller nach der Möglichkeit eines linken, auf den traditionellen sozialdemokratischen Grundlagen basierenden Meinungssystems, das die Massen anziehen und sich gleichzeitig vom Ballast der extremen liberalen ideologischen Komponenten befreien könnte. Der sozialistische Politiker warnte auch vor einer weiteren Lockerung der Bindungen Ungarns an die EU und den Atlantik, wie sie in den letzten Jahren zu beobachten war.