Wichtig ist zum Beispiel, dass Otto von Habsburg nicht nur einer der Gründer war, sondern auch bei fast allen Ausgaben mitmachte. Wenn wir uns ein bisschen mehr in dem Lebensweg der meist publizierenden Autoren vertiefen, stellt es sich heraus, dass die Autoren der Zeitschrift ziemlich verschieden sind.
Das Leben des gründenden Chefredakteurs namens William (ursprünglich Wilhelm) S. Schlamm (1904-1978), scheint mehr als ein Drehbuchmaterial zu sein. Der Junge Mann, der aus Galizien stammt und in Wien studiert, engagiert sich schon als Jugendliche für die kommunistische Ideologie und trifft als Delegationsmitglied im Kreml sogar Lenin selbst. Dank seines angeborenen Talents arbeitet er als Student in der Redaktion der Zeitung namens Die rote Fahne. Allerdings wird er zum Antikommunist schon vor Stalins Schauprozessen und flieht vor den Nazis in die USA. Dort arbeitet er bei niveauvollen Zeitungen (Time, Life, Fortune) und findet den Weg schnell zu den konservativen Kreisen, die sich nach dem Krieg gerade bilden. Wenn die Legende wahr ist, bringt er William F. Buckley zur Gründung desNational Reviews (1955). Ein paar Jahre später finden wir den friedlosen Schlamm in der Schweiz, wo er wieder als Redakteur arbeitet, aber schafft auch gleichzeitig den Zeitungen Stern und Die Welt zu arbeiten. So kommt das Jahr 1972, und die Gründung der Zeitbühne. Die Zeitschrift wird sofort zum wichtigsten Organ des deutschsprachigen konservativen Denkens; bis zu seinem Tod schreibt Schlamm das Vorwort des Redakteurs und zahlreiche kürzere Beiträge in jeder Ausgabe.
William S. Schlamm
Andere erleben die Kriegsjahre auch weit weg von Europa. Thomas Chaimowicz (1924-2002) – geboren in Wien – ist der erste Student mit jüdischen Wurzeln an der jesuitischen Universität in der Hauptstadt Kolumbiens. Nach seiner Heimkehr erwirbt er seinen Doktortitel, unterrichtet an der Universität Salzburg und ist ein Burke-Experte. Außerdem ist er ein guter Freund von Otto von Habsburg und unterrichtet seine beiden Kinder. Erik von Kuehnelt-Leddihn (1909-1999) stammt aus einer alten österreichischen Familie. Er studiert Wirtschaftswissenschaft in Budapest, besucht die Sowjetunion als Journalist, und ist ein überzeugter Legitimist in den dreißiger Jahren in Österreich. In den Kriegsjahren lebt er auch in den USA. Nach seiner Rückkehr nach Tirol schreibt er zahlreiche Werke über Politik und Ideengeschichte, und publiziert regelmäßig in dem National Review.
Es gibt natürlich Kollegen mit völlig anderen Hintergründen. Einige waren auch von den Medien des nationalsozialistischen Deutschlands betroffen (z.B.: Hans Georg von Studnitz oder Winfried Martini); andere, wie zum Beispiel der österreichische Schriftsteller und Philosoph Gerd-Klaus Kaltenbrunner (1939-2011) oder der deutsche Journalist und Außenpolitik-Experte Bruno Bandulet (1942-) waren von solchen ideologischen Versuchungen wegen ihres Alters weniger betroffen. Eigentlich ist der Alter selbst aber keine Garantie – nach einer kurzen ostdeutschen Erfahrung wendete sich Hans-Dietrich Sander (1928-2017) schnell zu dem Rechten. Und worauf auch wir Ungarn ein bisschen stolz sein können: unter den Autoren finden wir auch den Philosoph Tamás Molnár (1921-2010), der in den USA lebte.
So viel als Teaser – um nur einige Namen zu nennen, die vollständige Liste der Autoren beträgt vielleicht mehr als hundert. Durch die Organisierung der Sammlung kann man dieses prägende Dokument bald besser untersuchen. Dank der Anzeigen und Reportagen über die Ereignisse, die Ausgaben und ähnliche Organisationen in der Zeitbühne wird es einfacher herauszufinden, wie das aus Westeuropa weitverzweigte Netzwerk der deutschen konservativen Kreise aussah, und wir können unsere Kenntnisse über die Politik der siebziger Jahre erweitern.
Buchwesen
Die Zeitbühne war eine Monatszeitschrift, die zwischen Frühling 1972 und Dezember 1979 erschien. Gegründet und herausgegeben wurde die Zeitschrift von William S. Schlamm, der sie bis zu seinem Tod im September 1978 editierte. Während ihres achtjährigen Bestehens erschienen insgesamt 90 Hefte von der Zeitbühne, die außer weniger Ausnahmen meistens 60 Seiten betrugen. Im Jahre 1974 hatte sie eine Auflagenhöhe von 45.000.
Eine Ausgabe bestand aus mehreren drei- bis achtzeiligen Beiträge, gefolgt von noch kürzeren Schreiben, die abhängig von dem Zeitalter der Zeitschrift in verschiedenen Blöcken, wie zum Beispiel Miniaturen, Notizen oder Zwischenrufe geteilt wurden. Anfangs stand auf dem Titelblatt nur der Name des Redakteurs in dem Titelkopf, aber im Dezember 1976 fanden die Leser die folgende Mittelung auf einem Innenblatt: „Otto von Habsburg hat sich auf meine Bitte entschlossen, ab 1. Januar 1977 mit mir gemeinsam die ’Zeitbühne’ herauszugeben. William S. Schlamm”. Ab dieser Ausgabe standen schon bis Dezember 1978 beide Namen im Titelkopf. Letztlich – auf die Hefte der letzten Jahrgänge – stand nur so viel, ohne Namen: „begründet von William S. Schlamm“.
Wie wir es aufgrund der nicht vollständig bewahrten Sammlung vermuten, meldete sich der geistliche Vater der Zeitschrift mit einem Vorwort des Redakteurs in allen Ausgaben. Außerdem schrieb er bis Mai 1978 die Beiträge der obengenannten Miniaturen. Nach seinem Tod, ab November 1979 fing die Zeitung für ein gutes Halbjahr mit Otto von Habsburgs Schreiben an. Danach erschien die Einleitungsbeitrag fast immer mit dem Titel Von Monat zu Monat.
Thematische Zusammenstellungen erschienen nur selten in der Zeitbühne. So wurden der 200. Geburtstag der Vereinigten Staaten (7/1967), die bolschewistische Machtübernahme (10/1977), das 60. Jubiläum der Entstehung der Republik Österreich (8/1978) und die Wahlen zum Europäischen Parlament (5/1979) betont. Die wichtigsten internationalen Ereignisse (Terroristen, Atombombe und Rechtsstaat, 4/1978) erhielten auch besondere Aufmerksamkeit.
Die Geschichte der Zeitschrift endete mit der Ausgabe vom November-Dezember 1979. Es gab keinen Redakteur ähnlicher Qualität, der Schlamm folgen konnte; Otto von Habsburg setzte seine Arbeit ab diesem Sommer anderswo auf der Bühne des Zeitalters fort – nämlich in dem Europäischen Parlament.
Ferenc Vasbányai