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Zu 1956 – von zwölf Jahren später

Vor fünfundfünfzig Jahren, im Jahr 1968, spielten sich ähnliche Szenen in den Straßen Prags ab wie in Budapest im Herbst 1956. Otto von Habsburg verfolgte die Ereignisse in der Tschechoslowakei ebenso aufmerksam wie die Revolution in Ungarn zwölf Jahre zuvor. Wie andere Analysten, stellte der ehemalige Thronfolger schon auch früh einen Vergleich zwischen den beiden Ereignissen an.

Zu 1956 – von zwölf Jahren später

Vor fünfundfünfzig Jahren, im Jahr 1968, spielten sich ähnliche Szenen in den Straßen Prags ab wie in Budapest im Herbst 1956. Otto von Habsburg verfolgte die Ereignisse in der Tschechoslowakei ebenso aufmerksam wie die Revolution in Ungarn zwölf Jahre zuvor. Wie andere Analysten, stellte der ehemalige Thronfolger schon auch früh einen Vergleich zwischen den beiden Ereignissen an.

Zunächst sammelte er die Unterschiede und Gemeinsamkeiten und veröffentlichte dann einen Artikel über das Thema in der Zeitschrift Új Európa (Neues Europa).[1] 1956 konnte Moskau seiner Meinung nach bei der Niederschlagung der Revolution auf Chinas Unterstützung zählen, 1968 jedoch nicht. Darin sah er einen der Gründe, warum sich Moskau zwölf Jahre nach den Ereignissen in Ungarn vorsichtiger und zögerlicher zeigte. Während die westliche Welt 1956 die Revolutionäre noch ermutigte, ohne die Absicht zu intervenieren, mahnte sie 1968 zur Zurückhaltung, und von Intervention konnte keine Rede sein. Laut Otto von Habsburg sind die Unterschiede wichtig, er weist aber auch auf wichtige Gemeinsamkeiten hin, wie etwa die Tatsache, dass 1956 und 1968 die Rolle der intellektuellen Elite entscheidend für den Ausbruch der Ereignisse war. Der ehemalige Thronfolger sah den Prager Frühling als eine Art „Zeitlupenaufnahme“ der ungarischen Revolution. In seinem Artikel zur Wahl von Präsident Nixon schrieb er: „Was sich vor 12 Jahren in, sagen wir, 24 Stunden – also am 4. November – abgespielt hatte, dauerte jetzt einen ganzen Monat.“[2] Während der Kreml 1956 die Situation in Ungarn aus seiner Sicht sowohl militärisch als auch politisch relativ „geschickt“ gehandhabt habe, könne man das vom Prager Frühling 1968 kaum behaupten – so Otto von Habsburg. Die Art und Weise, wie die Sowjetunion vor allem politisch mit dem Thema umgegangen sei, sei ,,Pfuscherei“ gewesen – so der ehemalige Thronfolger. Er verwies auf die tiefe Gespaltenheit der Moskauer Führung und die Tatsache, dass die herrschende Gruppe nach alten Regeln handelte und neue Phänomene nicht berücksichtigte: das Atomzeitalter und die wachsende Macht Chinas. Die Ereignisse von 1968 zeigten seiner Meinung nach erneut, dass die Ideologie des Marxismus-Leninismus den Herausforderungen der Zeit immer weniger gewachsen sei.

Der Prager Frühling bestätigte Ottos Überzeugung, dass die Herrschaft der Sowjetunion und des Kommunismus nicht von Dauer sein würde – und damit auch nicht die Existenz des Ostblocks. In seinem 1968 erschienenen Buch Politik für das Jahr 2000 schrieb er, dass die wirtschaftlichen und sozialen Vorstellungen des Kommunismus überholt seien, da sie auf Konzepten des 19. Jahrhunderts beruhten. Er argumentiert dafür ausführlich, dass die Ereignisse des 20. Jahrhunderts unweigerlich zu einem Rückgang der Popularität des Kommunismus und dem Untergang der auf dieser Ideologie basierenden Systeme führen werden. Diese Prophezeiung wurde in Europa vor vierunddreißig Jahren mit der Wende bestätigt.

Der Namensgeber unserer Stiftung war immer der Meinung, dass die Sowjetunion und der Kommunismus „die Todeswunde“ 1956 in Ungarn bekommen haben. In Anbetracht dieses historischen Erbes und der damit verbundenen Verantwortung können wir siebenundsechzig Jahre nach der Revolution immer noch mit Otto von Habsburg mit Stolz feststellen: „Nein, der ungarische Aufstand war nicht umsonst!“[3]

 

Gergely Fejérdy

 


[1] Otto von Habsburg: Történelmi összefüggések. (Historische Zusammenhänge.) Új Európa, 1968, 10, 5-6.
[2] Otto von Habsburg: Mi várja Nixont? Külpolitikai körkép. (Was erwartet Nixon? Außenpolitischer Überblick.) Új Európa, 1969, 1, 7-11.
[3] Otto von Habsburg: Forradalom és hatása ma. (Die Revolution und ihre Auswirkungen heute.) Pesti Hírlap, 22. Oktober 1991, 1.