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30 Jahre nach Maastricht

Die Otto-von-Habsburg-Stiftung und die Universität für den Öffentlichen Dienst gedachten des 30. Jahrestages Inkrafttretens des Vertrages zur Gründung der Europäischen Union mit einer gemeinsamen Konferenz mit dem Titel ,,Von der paneuropäischen Idee zum Vertrag von Maastricht”.

30 Jahre nach Maastricht

Die Otto-von-Habsburg-Stiftung und die Universität für den Öffentlichen Dienst gedachten des 30. Jahrestages Inkrafttretens des Vertrages zur Gründung der Europäischen Union mit einer gemeinsamen Konferenz mit dem Titel ,,Von der paneuropäischen Idee zum Vertrag von Maastricht”.

Im Széchenyi-Festsaal des ehemaligen Ludovika-Gebäudes begrüßte der Direktor unserer Stiftung die Teilnehmer. Gergely Prőhle erklärte, dass das Ziel des Gedankenaustausches darin bestehe, sowohl über das Leben von Otto von Habsburg zu reflektieren als auch die Errungenschaften des dreißig Jahre alten Vertrages zu bewerten. Er erinnerte daran, dass unser Namensgeber an die Idee eines geeinten Europas glaubte und ein politisches Forum für seine Aktivitäten suchte, durch das er – zwar nicht mehr als Souverän, aber immer noch – das Schicksal des Kontinents mitgestalten konnte. Die Redner waren eingeladen, über die Aspekte der Entwicklung und Institutionalisierung der Union zu diskutieren, aber sie haben auch über die aktuelle Situation und künftige Herausforderungen gesprochen.

In seiner Eröffnungsrede erklärte der ungarische Minister für europäische Angelegenheiten, János Bóka, dass Ungarn die Grundsätze der EU akzeptiere, aber es wird die europäischen Institutionen dafür stets zur Rechenschaft ziehen. Während die Römischen Verträge (1957) den Grundstein für die soziale Marktwirtschaft in der westlichen Hälfte des Kontinents legten, war das Schlüsselwort von Maastricht die Subsidiarität. Die sich ständig verfeinernden Regelungen, die von den europäischen Institutionen ins Leben gerufen werden, laufen jedoch zunehmend den Interessen der auf ihre Souveränität bedachten Mitgliedsstaaten zuwider – und der wachsende Widerstand verschiedener nationaler Gesellschaften führt zu einer Schwächung der Idee eines gemeinsamen Europas. Gleichzeitig gibt es noch viele andere Aufgaben: die bestehende Union zu erweitern, die Freiheit des Einzelnen und der natürlichen Gemeinschaften zu bewahren, das Eigentumsrecht zu garantieren, die Idee der sozialen Verantwortung und der sozialen Gerechtigkeit zu vertreten und umzusetzen. Außerdem muss ein Weg zur Steigerung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit gefunden werden. Klingen all diese Dinge unmöglich? Wenden wir uns zur Ermutigung an Otto von Habsburg, der einmal gesagt hat: ,,Wer in Europa nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.”

Michael Gehler, der ausländische Hauptredner unserer Konferenz, hat das Ereignis vor 30 Jahren in eine historische Perspektive gestellt. Er fasste die Geschichte des 20. Jahrhunderts zusammen und stellte fest, dass viele der zwischen den beiden Weltkriegen entstandenen Initiativen darauf abzielten, eine weitere verheerende globale Tragödie zu verhindern. In diesem Sinne formulierte Richard Coudenhove-Kalergi (1894-1972) sein paneuropäisches Konzept, das einen Kontinent mit 27 Staaten, einer Zollunion und einem Zweikammersystem vorsah. Kalergi traf sich während seines Exils in den Vereinigten Staaten häufig mit Otto, aber trotz ihres gemeinsamen Vorschlags für eine europäische Sektion bei der UNO im Jahr 1945 blieb der Plan auf dem Papier. Auch der Europäische Kulturbund von Karl Anton Rohan (1898-1975), der die politische Initiative gerne in den Händen der christlich-konservativen Eliten Europas gesehen hätte, konnte die Probleme der Zeit nicht lösen. Auch die Ideen von Wilhelm Heile (1881-1969), der den Verband für Europäische Verständigung gründete, oder des ungarischen Elemér Hantos (1881-1947), der zusammen mit Julius Meinl den Plan für eine Mitteleuropäische Wirtschaftsgemeinschaft ausgearbeitet hatte, konnten nicht verwirklicht werden. Der Vorschlag des deutschen Emil Mayrisch (1862-1928) und des Franzosen Pierre Viénot (1897-1944), eine internationale Rohstahlvereinigung zu gründen, nahm jedoch die spätere Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorweg.

Der Leiter des Historischen Instituts der Universität Hildesheim bezeichnete den Vertrag von Maastricht vor 30 Jahren als den Anfang vom Ende des Traums von den Vereinigten Staaten von Europa. Denn ,,die Integration war die Rettung des Nationalstaates” (A. S. Milward), denn ohne die deutsche Vereinigung hätte es Maastricht wohl nie gegeben. Es gibt Bereiche, in denen es seit Jahrzehnten keine Durchbrüche mehr gibt – etwa die gemeinsame Sicherheitspolitik, zu der ein belgischer Politiker treffend bemerkte: ,,Europa ist ein wirtschaftlicher Riese, ein politischer Zwerg, aber eine militärische Larve” –, dennoch kann die Vereinheitlichung auf lange Sicht doch als Erfolgsgeschichte betrachtet werden. Fügen wir aber gleich hinzu: eine Erfolgsgeschichte, die einer ständigen Anpassung und sorgfältigen Planung bedarf.

Wir alle leben in einer post-westlichen Welt, in der neue Machtzentren entstehen und wir brauchen einen neuen geopolitischen Ansatz, um Phänomene und Prozesse wie Migration, künstliche Intelligenz, Brexit, Pandemien, Terrorismus und Kriege zu verstehen und zu bewältigen, begann Benita Ferrero-Waldner ihre Rede. Die ehemalige Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich ist der Ansicht, dass die EU auf nachhaltige Weise in Richtung Westbalkan und Ukraine erweitert werden kann und dass die Voraussetzungen dafür im derzeitigen Rechtsrahmen ohne Vertragsänderung gegeben sind. Die Europäische Kommission sollte jedoch dringend rationalisiert werden, um ein reibungsloseres Funktionieren zu gewährleisten; die Ministerräte sollten in ständige und rotierende Mitglieder unterteilt werden, ähnlich dem UN-Sicherheitsrat, und es sollten Gruppen von Mitgliedstaaten gebildet werden, die über Sprecher an den Debatten teilnehmen. Das Mitglied der Europäischen Kommission ist der Ansicht, dass der Entscheidungsprozess mit qualifizierter Mehrheit beschleunigt werden könnte und dass neue Modelle für die Finanzierung des institutionellen Systems entwickelt werden könnten (,,EU-Steuer“ werden in Erwägung gezogen, zusätzlich zu/anstelle der derzeitigen 1% des BIP der Mitgliedstaaten). Es ist wichtig, dass die derzeitigen Konflikte (Kosovo, Mazedonien) gelöst werden, bevor weitere Beitritte erfolgen können. Frau Ferrero-Waldner hält auch den Vorschlag des französischen Präsidenten für eine ,,Union mit mehreren Runden” für überlegenswert: Der westliche Kern, die jetzigen Staaten, die neuen Mitgliedstaaten und andere Staaten des Kontinents (wie das Vereinigte Königreich) – insgesamt 40 gleichberechtigte Mitglieder – würden eine europäische politische Gemeinschaft bilden und sich u.a. über Sicherheitspolitik, Infrastrukturentwicklung und Transport verständigen. Wenn wir eine Gemeinschaft mit geopolitischem Gewicht werden wollen, müssen wir diese Fragen so schnell wie möglich entscheiden, mahnte sie am Ende.

In Anlehnung an Victor Hugo beschrieb Noëlle Lenoir, ehemalige französische Ministerin für europäische Angelegenheiten, die Demokratie als einen Ort, an dem Waffen durch Papiere und Wahlurnen ersetzt werden können. Wenn die Worte des großen französischen Dichters doch nur heute noch gültig wären! Es scheint jedoch, dass wir – wenn wir das gefährliche 21. Jahrhundert überleben und die Demokratie und die westliche Zivilisation retten wollen – besser mit der Naivität brechen und uns der Realität stellen sollten und bereit sein sollten, Europa und die Werte, die Europa repräsentieren, zu verteidigen.

Enikő Győri, ungarische Europaabgeordnete, äußerte sich aufgrund ihrer Erfahrungen im politischen Tagesgeschäft skeptisch über die schnelle Reform des institutionellen Systems. Anstatt verschiedene theoretische Konstrukte miteinander zu konkurrieren, sollte man sich ihrer Meinung nach auf den gesunden Menschenverstand der Gründerväter besinnen und die Frage stellen, die sie einst formulierten: Was ist gut für den europäischen Bürger? Um eine wirksame Entscheidungsfindung zu gewährleisten, muss zunächst die Frage der Souveränität geklärt werden, und erst wenn die Zuständigkeiten klar definiert sind, können wir uns der viel diskutierten Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zuwenden, bei der wir überhaupt nicht gut dastehen: die demografischen Realitäten arbeiten gegen Europa, und es stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit des hohen Lebensstandards, den Europa in den letzten Jahrzehnten erreicht hat –etwas, das Menschen von anderen Kontinenten durch Migration suchen – und nicht zuletzt die Gefahren des ideologischen Denkens, das die Eurokratie beherrscht hat.

In der sich an die Vorträge anschließenden Diskussionsrunde tauschten sich unsere Gäste über die aktuelle Situation der Nationalstaaten, die sich verändernde Rolle Mitteleuropas in der EU in naher Zukunft und die Bedeutung und Realität des Slogans ,,Starkes Europa” im Lichte der aktuellen weltpolitischen Ereignisse aus.

 

Fotos: Zoltán Szabó