Nachrichten


Der Diplomat, der Otto von Habsburgs Leben rettete – Zum Gedenken an Aristides de Sousa Mendes

Unsere Stiftung gedenkt Aristides de Sousa Mendes, der am 3. April 1954 vor siebzig Jahren verstorben ist. Der portugiesische Diplomat war als Generalkonsul seines Landes in Bordeaux 1940 maßgeblich an der Flucht von Otto von Habsburg und seiner Familie beteiligt, die des Hochverrats beschuldigt und von Nazi-Deutschland verfolgt wurden.

 

Der Diplomat, der Otto von Habsburgs Leben rettete – Zum Gedenken an Aristides de Sousa Mendes

Unsere Stiftung gedenkt Aristides de Sousa Mendes, der am 3. April 1954 vor siebzig Jahren verstorben ist. Der portugiesische Diplomat war als Generalkonsul seines Landes in Bordeaux 1940 maßgeblich an der Flucht von Otto von Habsburg und seiner Familie beteiligt, die des Hochverrats beschuldigt und von Nazi-Deutschland verfolgt wurden.

 

Die Zeit der Übersee-Emigration während des Zweiten Weltkriegs war eine wichtige Station in Otto von Habsburgs aufstrebender öffentlicher Karriere. Die politischen und diplomatischen Bemühungen der Jahre in Washington zeugten von seinem Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Nachfolgestaaten der Monarchie und der Zukunft des europäischen Kontinents, aber auch von den immer deutlicher werdenden Konturen seiner späteren politischen Ansichten. Das abenteuerlichste Moment der biographischen Erzählungen, die über die Kriegsjahre erzählen, liegt jedoch nicht in der Beschreibung der politischen und Netzwerkaktivitäten des ehemaligen Thronfolgers, sondern in der Beschreibung der riskanten Reise, die der vom Dritten Reich verfolgten Otto von Habsburg im Frühjahr 1940 von der Burg Steenockerzeel durch Frankreich, Spanien und Portugal in die Vereinigten Staaten unternahm. Im Mittelpunkt dieser Geschichten steht der portugiesische Diplomat Aristides de Sousa Mendes, der eine entscheidende Rolle für das Gelingen der Flucht des ehemaligen Thronfolgers und seiner Familie spielte.

Als Frankreich 1940 überfallen wurde, rettete der Generalkonsul das Leben zahllosen Flüchtlingen, darunter auch vielen jüdischen, indem er gegen den ausdrücklichen Befehl der politischen Führung in Lissabon massenhaft portugiesische Visa ausstellte. Er blieb seinem Land und der breiten internationalen Öffentlichkeit doch jahrzehntelang unbekannt. Seine lebensrettende Arbeit wurde erst 1966 gewürdigt, als das Institut Yad Vashem ihm den Titel „Gerechter der Welt“ verlieh. Im Gegensatz dazu konnte seine Rehabilitierung in seinem eigenen Land erst 1988 erfolgen, fast eineinhalb Jahrzehnte nach der „Nelkenrevolution“, dem Sturz des autoritären portugiesischen Regimes.

Otto von Habsburg verstand, dass die Tat der christlichen Nächstenliebe des Generalkonsuls, der Tausenden von Menschen das Leben rettete, nicht ohne Lektionen blieb und dass auch er eine wichtige Rolle dabei spielen musste, seiner Heldentaten zu gedenken und sie zu bewahren. Die Bewahrung seines Andenkens und die Weitergabe dieses Teils der Geschichte und des Familienerbes von einer Generation zur nächsten hat sich als erfolgreich erwiesen, da die Tochter des ehemaligen Thronfolgers, Michaela von Habsburg, vor einigen Jahren darüber sprach, was für eine entscheidende Figur in der Familienlegende Sousa Mendes war. Sie erklärte, dass der Diplomat in den Erinnerungen ihres Vaters so häufig vorkam, dass es sich anfühlte, als säße der besondere Gast abends mit am Tisch.

Die Familie Habsburg in Amerika (1943)

 

Sousa Mendes wurde 1885 in eine wohlhabende, streng religiöse Familie hineingeboren. Sein Engagement für den öffentlichen Dienst und seine über mehrere Generationen hinweg gesammelte Erfahrung der aktiven Teilnahme am politischen Leben trugen wesentlich zur Arbeit des zukünftigen Diplomaten bei. Nach einem Jurastudium an der renommierten Universität von Coimbra trat er in den auswärtigen Dienst ein, zusammen mit seinem Zwillingsbruder César, ebenfalls ein angesehener Humanist, der während des Zweiten Weltkriegs als Botschafter in Warschau tätig war. Seine diplomatische Laufbahn fiel in turbulente Zeiten in der Innenpolitik, und die raschen Veränderungen wirkten sich auch auf die außenpolitischen Tätigkeiten aus. Die letzten Tage der portugiesischen Monarchie verbrachte Sousa Mendes schon auf seiner ersten Station im Ausland; ebenso wie die Jahre der parlamentarischen Demokratie von 1910 und anderthalb Jahrzehnte später, als Salazar mit dem Estado Novo eine autoritäre Regierung einführte. Auf dem Höhepunkt einer bewegten Karriere im Auswärtigen Dienst wurde er 1938 nach zahlreichen Einsätzen in Übersee und Europa zum Leiter der portugiesischen Mission in Bordeaux ernannt. Dort erlebte er die Invasion Frankreichs im Jahr 1940, die den bis dahin berechenbaren diplomatischen Alltag radikal veränderte.

Als er die verzweifelte Notlage der vor der vorrückenden deutschen Armee fliehenden Massen sah, stellte der Diplomat – entgegen dem ausdrücklichen Verbot seiner Regierung – massenweise Visa für Portugal aus und spielte so eine entscheidende Rolle bei der Flucht von Otto von Habsburg und seiner Familie im Jahr 1940, die des Hochverrats beschuldigt und von Nazi-Deutschland verfolgt wurden. Diese mutige Aktion machte deutlich, dass die Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens für ihn nicht nur eine abstrakte Rechtsnorm war, sondern eine grundlegende Verpflichtung, die sich aus seinem christlichen Glauben und seiner persönlichen und beruflichen Sozialisation ergab. Unabhängig von ihrem religiösen, ethnischen, politischen oder finanziellen Status bemühte er sich, Menschen in Not zu helfen, darunter Salvador Dalí, der nach dem Spanischen Bürgerkrieg nach Frankreich geflohen war, und der Schriftsteller Aladár Tamás, der in den 1950er und 1960er Jahren eine glänzende diplomatische Karriere machte, viele Mitglieder des französischen Zweigs der Familie Rothschild und viele Politiker, Künstler und Wissenschaftler, die später zu Berühmtheit gelangten, aber auch viele alltägliche Menschen. Die Zahl der Geretteten ist seither Gegenstand intensiver historischer Debatten. Doch auch ohne genaue Zahlen bleibt klar, dass die politische, intellektuelle und kulturelle Geschichte Europas und der Vereinigten Staaten viel der Tätigkeit von Sousa Mendes im Jahr 1940 zu verdanken hat. So trug Dalís Ankunft in Amerika entscheidend dazu bei, New York zu einem der künstlerischen Zentren der Nachkriegszeit zu machen, und ermöglichte es europäischen Emigrantenregierungen und kritischen Persönlichkeiten des Wiederaufbaus nach dem Krieg, den alten Kontinent mit portugiesischen Visa zu verlassen.

Der Ungehorsam des Diplomaten, der die Notwendigkeit, den in Not geratenen Menschen zu helfen, über die Loyalität gegenüber der politischen Führung in Lissabon stellte, blieb jedoch nicht ohne Folgen: Im Frühsommer 1940 wurde er suspendiert, und ein Disziplinarverfahren wurde gegen ihn eingeleitet. Obwohl er sich bewusst war, dass das endgültige Urteil nicht in den Händen einer vergänglichen irdischen Macht lag, sondern in denen Gottes, belastete die Zeit der Verfolgung, die er mit Würde ertrug, seine Gesundheit. Er starb mittellos, vernachlässigt und vergessen im Frühjahr 1954.

Als Otto von Habsburg gebeten wurde, über eine lebensverändernde Begegnung mit einem Menschen in einer mehrteiligen Publikation für den Kirchentag 1987 zu schreiben, entschied er sich für Sousa Mendes. Anlässlich des 70. Todestages des ehemaligen Diplomaten ehren wir einen der vergessenen Helden des Kriegsmordes mit der Publikation dieses Aufsatzes. Die Originalfassung des Textes, die Korrespondenz mit den Herausgebern sowie die Briefe zwischen Otto von Habsburg und Antonio de Moncada de Sousa Mendes, dem Enkel des Menschenretters, werden im Archiv der Stiftung aufbewahrt. Seit 2010 widmet sich die nach ihm benannte Stiftung Sousa Mendes dem Andenken an den ehemaligen Generalkonsul, der auch als „portugiesischer Wallenberg“ bezeichnet wird.

HOAL I-4-a-Kéziratok, cikkek, disszertációk tanulmányok

 

Anmerkung: HOAL I-2-b-Rainer Meier (Veröffentlichung des Textes: Telegramme aus Lissabon 68-70 In: J. Rainer Didszuweit u. Rainer Meier: Niemand ist allein. Begegnungen. [Neubuch] im. Auftr.d. Arbeitsstelle ’87. d. Evang. Kirche in Hessen u. Nassau für d. Kirchentag in Frankfurt

 

 

 

Eszter Barcs
Bence Kocsev