Kurz nach dem Europatag, am 10. Mai besuchte der Präsident der Robert Schuman Stiftung, Jean-Dominique Giuliani unsere Stiftung. Im Rahmen seines kurzen Besuches in Budapest nahm der Leiter des Forschungsinstituts für europäische Fragen – der auch zu Emmanuel Macrons Experten für EU-Politik eine enge Beziehung hat – auf Einladung der Otto-von-Habsburg-Stiftung an mehreren Treffen und Konferenzen teil. Die Direktorin der Robert Schuman Stiftung, Pascale Joannin begleitete ihn auf seiner Reise nach Ungarn.
Ein wichtiges Ereignis des Besuches war das Rundtischgespräch mit dem Titel ,,Die Unentbehrlichkeit Europas“, das von dem Institut für Strategische Studien der Nationalen Universität für den Öffentlichen Dienst (NKE STI) und von unserer Stiftung zusammen organisiert wurde. Im Rahmen der Veranstaltung diskutierten Jean-Dominique Giuliani, Tibor Navracsics (Parlamentsabgeordneter, ehemaliger EU-Kommissar), Gergely Prőhle und Gergely Fejérdy. Die Rede von Emmanuel Macron –der neugewählte französische Präsident – am 9. Mai in Strasbourg und sein Besuch in Berlin, und die ungarische Regierungsbildung schafften einen eigenartigen Kontext für das Gespräch.
Jean-Dominique Giuliani betonte vor allem die Wichtigkeit der Bewahrung der europäischen Einheit. Seiner Meinung nach die Krisen, wie zum Beispiel das Covid-19 und der Krieg in der Ukraine, motivieren die Politiker des Kontinents zur engeren Zusammenarbeit. Er denkt, dass die Vertiefung der EU beschleunigt und es würde ihm leidtun, wenn Ungarn aus diesem Prozess ausbleiben würde: ,,Es wäre schade, wenn Ungarn an die Haltestelle stehenbleiben würde, wenn das Zug abfährt.“ Laut Tibor Navracsis braucht man mehr Flexibilität im Zusammenhang mit der Vertiefung der Integration und es ist wichtig, die aus der historischen und geopolitischen Lage stammenden Unterschiede in Betracht zu ziehen. Er betonte, dass die europäische Völker ihre Kulturen gegenseitig kennenlernen sollten, um eine richtige Einheit schaffen zu können. Der Präsident der Robert Schuman Stiftung war mit der Wichtigkeit der kulturellen Dimension einverstanden, aber seiner Ansicht nach sollte man vor allem darauf konzentrieren, was die Mitgliedstaaten zusammenbindet, und nicht darauf, was sie voneinander unterscheidet. Er hielt für wichtig, dass man auf die Besorgnisse der EU-Bürger entsprechende Antworten gibt. Herr Giuliani betonte auch die wirtschaftlichen und militärischen Dimensionen, da in der nahen Zukunft größere Fortschritte in diesen Bereichen zu erwarten sind.
Im Zusammenhang mit dem letzteren Thema wurde das Beispiel der Österreichisch-Ungarischen Monarchie erwähnt, in der die Sprache und das Budget des gemeinsamen Militärs ständig zu Konflikten führten. Der zwei Referenten waren sich darüber einig, dass man bezüglich der Militärpolitik nicht die gescheiterte Europäischen Verteidigungsgemeinschaft aus 1954 als Beispiel nehmen sollte, sondern man sollte eine gemeinsame Strategie ausdenken. In diese Richtung zeigt auch der im März gebilligte ,,Strategische Kompass“. Jean-Dominique Giuliani hat die Teilnehmer daran erinnert, dass die Verteidigung aller Mitgliedstaaten und die Gewährleistung der gleichen Rechten ein Prinzip der Europäischen Union ist. Der Präsident der Robert Schuman Stiftung hielt aber für wichtig, dass man auf bestimmte nationale Zuständigkeiten verzichten sollte, denn nur so kann man effektiv und effizient auf die heutigen Herausforderungen reagieren.
Diesbezüglich hat Tibor Navracsics gedacht, dass es in den letzten Zeiten oft vorkam, dass die größeren Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel Frankreich, sich mehr leisten durften als andere EU-Mitglieder. In Bezug auf die Nichteinhaltung der Maastrich-Kriterien und die ,,Großzügigkeit“ der Kommission in dem Thema zitierte er die Worte von Jean-Claude Juncker: ,,Frankreich ist Frankreich“, also es darf sich mehr leisten. In anderen Bereichen ist eine engere Zusammenarbeit aber tatsächlich wünschenswert und das Subsidiaritätsprinzip darf man auch nicht vergessen. Auf ähnlicher Weise ist es nicht so empfehlenswert, viel mehr Wert auf das Bau von Institutionen als auf die Entwicklung der Gemeinschaften zu legen. Er betonte, dass ohne eine unterstützende politische Gemeinschaft (Demos) können die gemeinsamen Institutionen nicht funktionieren. Ungarns ehemaliger EU-Kommissar denkt, dass heutzutage – infolge einiger Themen, die alle betroffen, wie zum Beispiel die Migration und der Umweltschutz – entsteht eine Art von europäischem Demos, in dessen Entwicklung die Erasmus-Programme, die für die Jugendliche viele Möglichkeiten anbieten, eine wichtige Rolle haben kann. Die obengenannten Beispiele sind Bausteine für eine europäische Identität, aber sie sind noch nicht so stark und nicht so konsensuell, dass man ein auf sie beruhendes stärkeres institutionelles System bauen könnte. Jedoch haben beide anerkannt, dass die europäische Integration mithilfe der Verstärkung des europäischen Demos möglich ist, und deren Gründe die kulturelle Entwicklung der Gemeinschaft und das bessere gegenseitige Kennenlernen sind.
Die französischen Gäste haben auch die Otto-von-Habsburg-Stiftung besucht. Unter anderem haben sie sich das Band angesehen, das unser Namensgeber Charles de Gaulle dedizierte. Jean-Dominique Giuliani teilte seine eigenen Erfahrungen über den ehemaligen Thronfolger mit, da er an der Zeremonie teilgenommen hat, als Otto von Habsburg eine hohe Auszeichnung von Jacques Chirac im Jahre 2004 erhielt. Guillani erinnerte sich daran, dass Otto von Habsburgs aufschlussreiche Rede die Zusammenhänge zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit ausgezeichnet analysierte, und dadurch einen großen Einfluss auf ihn ausübte. Die gute persönliche Beziehung zwischen Otto von Habsburg und Robert Schuman wurde auch erwähnt, die eine wichtige Inspiration der zukünftigen Zusammenarbeit unserer Stiftungen sein kann.
Fotos von der Veranstaltung: Zsolt Burger