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Erzherzog Otto und der 15. März in Chicago

Im Jahre 1941 war Otto von Habsburg Ehrengast bei der Gedenkfeier zum 15. März der ungarischen Gemeinschaft in den USA. Ein neu aufgetauchtes Foto zeigt die ungarischen Emigranten so detailliert, wie noch nie zuvor.

Erzherzog Otto und der 15. März in Chicago

Im Jahre 1941 war Otto von Habsburg Ehrengast bei der Gedenkfeier zum 15. März der ungarischen Gemeinschaft in den USA. Ein neu aufgetauchtes Foto zeigt die ungarischen Emigranten so detailliert, wie noch nie zuvor.

Seit den 1930er Jahren lehnte Otto von Habsburg den Nationalsozialismus offen ab. Nach dem Anschluss wurde er von den deutschen Behörden wegen Hochverrats gefahndet, sein persönliches Vermögen und das von ihm verwaltete Habsburger Familienvermögen wurden auf Hitlers persönlichen Befehl enteignet. Rudolf Hess, der Stellvertreter des Führers, befahl den deutschen Besatzungstruppen, die in Belgien einmarschierten, Otto von Habsburg und seine Brüder sofort und ohne weiteres Verfahren zu erschießen, falls sie gefangen werden. Im Jahre 1940 entkam die Familie den Bombenangriffen der Luftwaffe nur knapp. Sie verließen ihr Haus in Paris und flohen nach Spanien und Portugal, wo sie für etwa fünfzehntausend Menschen – zumeist Juden – Papiere für den Flucht ins Ausland besorgten. Otto siedelte im Sommer 1940 in die Vereinigten Staaten über, wo er bis Ende 1944 blieb. Zur gleichen Zeit zog Königin Zita mit den jüngeren Kindern auch nach Amerika, aber während ihres Aufenthalts in Belgien sprachen sie hauptsächlich Französisch und ließen sich langfristig im französischsprachigen Quebec, Kanada, nieder.

Nach seiner Ankunft trat Otto schnell mit führenden amerikanischen Kreisen in Kontakt, darunter auch mit Präsident Roosevelt, mit dem er während seines gesamten Aufenthalts in den Vereinigten Staaten in ständigem und direktem Kontakt blieb. Otto nutzte seine Beziehungen zum Präsidenten und zu anderen Regierungsvertretern regelmäßig zum Vorteil Österreichs und Ungarns aus und anfangs war er erfolgreich. Er setzte sich für die Wiederherstellung des freien und unabhängigen Österreichs ein und engagierte sich für eine Möglichkeit, damit Ungarn aus dem lästigen Hitler-Bündnis ausbrechen kann, um eine sowjetische Invasion zu verhindern. Otto war anerkannt gut vorbereitet und hatte eine europäische Perspektive. Er betrachtete die amerikanische demokratische Einrichtung als Vorbild. Mithilfe des Entwurfs einer ,,Donauföderation“, die die Völker Mitteleuropas in einem einzigen Staat vereinen sollte, wollte er der deutschen und russischen Aggression entgegenwirken. Seine Bestrebungen wurden jedoch durch den Einfluss der mächtigen anti-ungarischen und antihabsburgischen tschechischen Emigration und der amerikanischen Unterstützer der Benešes stark behindert.

Nach seiner Ankunft in Amerika beteiligte sich Otto, der auch eine ungarische Identität hatte, intensiv an den politischen Aktivitäten der ungarischen Emigration. Er besuchte die Städte mit den größten ungarischen Kolonien, traf sich mit Vertretern der wichtigsten ungarischen Organisationen und Kirchen und besuchte innerhalb eines Jahres 32 Bundesstaaten des Landes. Zu dieser Zeit war die ungarisch-amerikanische Gemeinschaft politisch sehr gespalten, und es gab weitere Bruchlinien innerhalb der verschiedenen ideologischen Gruppierungen. Otto beschäftigte sich mit diesen aber weniger, und seine gewinnende Persönlichkeit, seine Informiertheit, seine klare Denkweise und seine gewählte ungarische Sprache überzeugten die Zweifler leicht bei einem persönlichen Treffen.

Der Amerikanisch-Ungarischer Verband (American Hungarian Federation), der 1906 im Zusammenhang mit einer Spendenaktion für die Kossuth-Statue in Cleveland gegründet wurde, war nicht nur die älteste, sondern auch die größte ungarische Organisation in den Vereinigten Staaten. Der 15. März 1941, der Jahrestag des ungarischen Freiheitskampfs, wurde traditionell mit einer großen Versammlung gefeiert, und der habsburgische Thronfolger war am 15. März 1941 in Chicago als Ehrengast eingeladen.

Otto kam einige Tage vor der Feier mit seinem eigenen Auto in Chicago an, wo er zunächst vor Absolventen der Loyola Jesuit College über die internationale Lage des Katholizismus sprach und anschließend Vorlesungen an den Rosary College und Saint Xavier katholischen Privatuniversitäten hielt. Im Jahre 1940 lebten in Chicago etwa 18.000 solche Menschen, deren Muttersprache nach eigener Aussage Ungarisch war[1], und an der Feier am 15. März nahm auch eine beträchtliche Anzahl von Feiernden teil. Als konsequenter Gegner des Totalitarismus in allen Formen hielt Otto eine Rede zum Gedenken an den Freiheitskampf, wobei seine Hauptthese folgendes war: „Es gibt nur eine Art von Freiheit und es gibt immer nur eine Art von Sklaverei“. Der Chefredakteur von Amerikai Magyar Népszava schrieb im Jahre 1940 in einer Publizistik über Otto von Habsburgs Verhältnis zum ungarischen Freiheitskampf folgenderweise: „Mit seinem Besuch in dem Kossuth House gedachte Otto des großen ungarischen Freiheitskämpfers, und hätte das ungarische Volk eine größere Genugtuung erfahren können, als dass das Oberhaupt des Hauses Habsburg das Andenken von Kossuth in Ehren hielt, dessen Ur-Ur-Großonkel gegen die ungarischen Freiheitskämpfer und ihre Anhänger mit Waffen kämpfte. (…) Die Ideale, die das junge Oberhaupt des Hauses Habsburg predigt — und die die heutigen Versionen der Ideen des großen Kossuth sind — sind für das ungarische Volk nicht gefährlich. Ganz im Gegenteil. (…) Niemand braucht zu befürchten, dass Otto die Seele von irgendjemandem mit schädlichen, falschen Ideen vergiften könnte, denn Otto predigt heute die Ideen von Kossuth.“[2]

Ein großes Foto, das vor Kurzem in die Sammlung unserer Stiftung aufgenommen wurde, ist ein Gruppenfoto, das die Feierlichkeiten im vollbesetzten Bankettsaal des Congress Hotels zeigt. Otto von Habsburg sitzt in der Mitte vor der Bühne, zu seiner Rechten sitzt Weihbischof Bernard James Sheil aus Chicago, die ungarische Fahne wird von Pál Zsámboky (Ottos ehemaliger Lehrer) gehalten, daneben Heinrich Degenfeld, Ottos Lehrer und Adjutant, und in der Mitte János Sinkó, ein in ungarischen Angelegenheiten sehr aktiver Kunststoffhersteller aus Chicago. Außerdem sind Mitglieder verschiedener Krankenhilfsvereine oder Kulturvereine, wie des Ersten Ungarischen Kunstliebhabers- und Jugendkreises von Chicago, Arbeiter der Fertigungsindustrie in Chicago und katholische Priester zu sehen. Das Foto von Empire Studio zeigt die Gesichtszüge der damaligen ungarischen Emigranten in faszinierendem Detail, bis hin zu den Menschen in den hinteren Reihen.

Das hochauflösende und vergrößerbare Foto kann hier angesehen werden.

Szilveszter Dékány

 

 

[1] Zoltán Fejős: Zwei Generationen von Chicagoer Ungarn 1890-1940: Bewahrung und Wandel des ethnischen Erbes. Budapest, Central Europe Institute, März 1993.
[2] Pál Nadányi: Otto und die ungarischen Amerikaner In: Amerikai Magyar Népszava, April 19, 1940 S. 4, 8