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Mitteleuropäische Zusammenarbeit im Schatten des Krieges

Das Institut für Strategische Studien der Universität für den Öffentlichen Dienst und die Otto-von-Habsburg-Stiftung setzten den Gedenkgang der letztjährigen Konferenz „Gemeinsame Interessen, gemeinsame Werte?“ bei unserer Veranstaltung am 6. Juni 2023 fort. Gemeinsam mit unseren Gästen untersuchten wir den aktuellen Zustand unserer Region, ihre Perspektiven und die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine im Kontext einer möglichen Zusammenarbeit mit Deutschland.

Mitteleuropäische Zusammenarbeit im Schatten des Krieges

Das Institut für Strategische Studien der Universität für den Öffentlichen Dienst und die Otto-von-Habsburg-Stiftung setzten den Gedenkgang der letztjährigen Konferenz „Gemeinsame Interessen, gemeinsame Werte?“ bei unserer Veranstaltung am 6. Juni 2023 fort. Gemeinsam mit unseren Gästen untersuchten wir den aktuellen Zustand unserer Region, ihre Perspektiven und die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine im Kontext einer möglichen Zusammenarbeit mit Deutschland.

Die gemeinsame Vergangenheit und kulturelle Identität der Visegrád-Länder bilden die Grundlage eines Zusammengehörigkeitsgefühls, das einen ständigen Dialog und ein gemeinsames strategisches Denken fördert, betonte der Rektor der Nationalen Universität für den öffentlichen Dienst in seiner Rede. GERGELY DELI betonte, dass man diesen Diskurs in der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Krise mehr denn je braucht und dass es für die Formulierung positiver Botschaften unerlässlich ist, Deutschland, einen Schlüsselakteur in der Region, anzuhören. Er erinnerte daran, dass unsere Veranstaltungen zum Jahrestag des Élysée-Vertrags und zum Europatag in einem kontinentalen Kontext stattgefunden haben, während die aktuelle Veranstaltung in einem regionalen Kontext nach Lösungen sucht.

GERGELY PRŐHLE, Direktor unserer Stiftung, unterstrich die Bedeutung einer kontinuierlichen Kommunikation zwischen Parteien mit unterschiedlichen Ansichten. Laut ihm ist das Mitteleuropäertum ein kulturelles und historisches Narrativ, dessen Deutschland ein integraler Bestandteil ist. Wenn man diese tiefen Zusammenhänge in Betracht zieht, haben auch die aktuellen politischen Kontroversen eine andere Perspektive, wobei sich alle Parteien für die Region verantwortlich fühlen. Otto von Habsburg machte die Region zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit im Europäischen Parlament und verfolgte das Schicksal der Völker der ehemaligen Monarchie sein ganzes Leben lang.

Den ersten Vortrag der Konferenz wurde von BALÁZS ORBÁN, dem politischen Direktor des Ministerpräsidenten, gehalten, der eine umfassende Strategie für die kommende Zeit für Ungarn im Dezember 2022 vorstellte. Seiner Ansicht nach hat sich das seit 1945 bestehende wirtschaftliche und politische System der Welt im letzten Jahrzehnt grundlegend verändert. In dem technologischen Wettbewerb scheint der bisher dominierende Westen eingeholt zu sein: In Bezug auf Produktivität, Rohstoff- und Energieträger, Demografie sowie Forschungs- und Entwicklungsressourcen hat die Welt mit der Zivilisation des Sonnenwestens gleichgezogen bzw. diese überholt, die nur noch in der Rüstungsindustrie – vorläufig – einen deutlichen Vorsprung behält. Eine multipolare Welt ist entstanden, in der der Westen zwar unausweichlich, aber nicht der einzige dominante Akteur ist/wird. Gleichzeitig hat Ungarn – gemeinsam mit Mitteleuropa – noch ein Interesse daran, seine eigenen Ziele in diesem ,,Zivilisationsprojekt“ zu verwirklichen.

Nach Ansicht von Balázs Orbán liegt die Trennlinie zwischen Ungarn und dem westlichen Denken heute in der Interpretierung der Identität (Einwanderung, Familie, Nation, Liberalismus) und der Geopolitik (inwiefern es eine gute Idee ist, mit den Interessen einer einzigen Supermacht übereinzustimmen). Er argumentiert, dass es in den aktuellen unruhigen Zeiten wichtiger ist, gemeinsame Werte und Interessen zu pflegen als die Unterschiede zu betonen, da es die Einheit ist, die uns stark macht, nicht die Zersplitterung.

Seine Vorschläge lauten folgenderweise: Da Europas Stärke schon immer in seiner Vielfalt lag, sollte die Identität der einzelnen Staaten nicht in Frage gestellt werden; die Erweiterung der Union sollte fortgesetzt werden (Westbalkan, Ukraine); eine unabhängige Verteidigungsmacht sollte geschaffen werden, um die Region vor militärischen Bedrohungen zu schützen, auch ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten; unsere Wettbewerbsfähigkeit sollte gesteigert werden, einschließlich der – umsichtigen – Umstellung der Wirtschaft auf erneuerbare Energiequellen; schließlich sollte man gegenüber die progressive linke Ideologie an den christlichen Werten festgehalten, die den Menschen hier seit Jahrhunderten zum Überleben verholfen haben.

Damit Berlin die Herausforderungen der Zeitenwende bewältigen kann, muss es das Paradigma der Ostpolitik brechen, so KNUT ABRAHAM, CDU-Bundestagsabgeordneter. Der ehemalige Diplomat und Kollege Otto von Habsburgs sagte, dass die deutsche Außenpolitik im Zuge des russisch-ukrainischen Konflikts und der Energiekrise die Richtlinie verloren hat, und in letzter Zeit ein schweres Vertrauensdefizit in Mitteleuropa aufgebaut hat. Mangels geographischer und historischer Kenntnisse – was leider bei den meisten Entscheidungsträgern in Berlin der Fall ist – ist es schwierig, eine Strategie zu definieren. Abraham ist sich auch sicher, dass die Stärkung des Kontinents ohne eine Reform der EU-Institutionen unvorstellbar ist – aber dies muss eine gemeinsame Verantwortung der Mitgliedsstaaten sein, nicht die Aufgabe für ein einzelnes Land. Es muss sichergestellt werden, dass die Prozesse transparent und klar sind, da das Parlament sonst keine nötige Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger des Kontinents für die Durchführung der Reformen haben wird.

In seinem Vortrag erörterte ŁUKASZ LEWKOWICZ das Potenzial verschiedener Formen der regionalen Zusammenarbeit, um ungünstige wirtschaftliche und politische Entwicklungen zumindest teilweise auszugleichen. Der leitende Analyst des Mitteleuropa-Instituts in Lublin hob die positiven Aspekte der Drei-Meeres-Initiative und die von den Ländern des Weimarer Dreiecks geplanten und durchgeführten Infrastrukturinvestitionen sowie die Visegrád-Kooperation hervor. Er bezeichnete auch das deutsche Engagement als Schlüsselelement, das die Region auch auf politischer Ebene brauchen würde – auf regionaler Ebene könnte es das transatlantische Engagement ergänzen. Gleichzeitig findet er es wichtig, dass die Drei-Meeres-Initiative weder die aktive Beteiligung der EU noch der USA ausschließt.

„Europa beginnt zu Hause, nicht in Brüssel“ – betonte JÁN FIGEL‘, ehemaliger slowakischer Minister, in seinem Vortrag. Der ehemalige EU-Kommissar und Sonderbeauftragte nutzte die Metapher des Europäischen Hauses, um den Vorrang guter Nachbarschaft zu verdeutlichen, in dem wir jedoch kontinuierlich aktiv sein und über den konsumistischen Ansatz hinausgehen müssen, um ein attraktives Modell für diejenigen zu bieten, die an einen Einzug denken. Er machte darauf aufmerksam, dass die drei Weltkriege des 20. Jahrhunderts (er schloss den Kalten Krieg mit ein) auf unserem Kontinent begonnen haben und dass man kurz vor der Eskalation eines weiteren Weltkrieges steht. Die Spaltung Mitteleuropas würde letztlich ein Scheitern der Integration bedeuten.

Nach den Vorträgen wurde ein Rundtischgespräch zu den drängenden Fragen der Subsidiarität und Zentralisierung, weiterer Erweiterung der Union und Sicherheitspolitik gehalten.

 

 

Fotos: Dénes Szilágyi (NKE)