,,Die Ideen von Klemens von Metternich, der vor 250 Jahren geboren wurde, können nicht nur als Gegenstand historischer Rekonstruktion, sondern auch als politisches Erbe interpretiert werden, das bis heute als Vorbild dient“ – betonte Gergely Prőhle, Direktor unserer Stiftung und des Instituts für strategische Studien der Universität für den Öffentlichen Dienst. Er wies darauf hin, dass für Kissinger die historische Grundlage für das Verständnis des multipolaren internationalen Systems die Entstehung des europäischen Konzerts nach der turbulenten Zeit der napoleonischen Kriege war und die für seine Bildung notwendigen Handlungsmuster wurden von den daran teilnehmenden Akteuren, vor allem von dem politischen Genie des Kanzlers Metternich bereitgestellt. Zu Bernd Posselt, dem ersten Redner der Veranstaltung, bemerkte Direktor Prőhle, dass er nicht nur ein herausragender Experte für das Lebenswerk Metternichs sei, auf dessen reiche berufliche und politische Erfahrung während der gesamten Konferenz zurückgegriffen werden könne, sondern auch ein Politiker, der besonders sensibel für das Schicksal von Minderheiten sei und der viel für die Ungarn jenseits der Grenzen getan habe.
Bernd Posselt, ehemaliger Mitarbeiter von Otto von Habsburg und ehemaliger Europaabgeordneter, brachte zu Beginn seines Vortrages zum Ausdruck, dass er sich immer freue, nach Ungarn zu kommen. Er habe das Land in den letzten Jahrzehnten im Rahmen der Paneuropa-Union mehrfach besucht und er sei damit auch durch seine persönliche Familiengeschichte verbunden. Danach erläuterte er, wie die politische Sozialisation, die Denkweise und die spätere Karriere des ehemaligen Außenministers und Bundeskanzlers der österreichischen Monarchie durch die doppelte Identität seiner Familie – rheinisch und böhmisch –, seine prägenden Jahre an der Universität Straßburg und seine zahlreichen Erfahrungen während der Französischen Revolution geprägt wurden. Der ehemalige Europaabgeordnete betonte, dass all diese Faktoren wesentlich dazu beigetragen haben, dass Metternich erkannte, dass die Zukunft in Richtung einer liberalen, verfassungsmäßigen Struktur zu entstehen schien, während die Entwicklung der Freiheitsrechte durchaus leicht zu Nationalismus und zum Zerfall der europäischen Ordnung führen könnte. Angesichts dieser Gefahren sah er das Konzept des Föderalismus als eine der Grundlagen einer soliden europäischen Ordnung und als wirksames und flexibles Mittel zur Konfliktlösung an. Er betonte, dass das Konzept von Metternich nicht auf Perfektion, sondern auf ein Gleichgewicht der Großmächte abzielte – und dass seine Beständigkeit dadurch bewiesen sei, dass es eine nachhaltige und umfassende Regelung nach einem großen militärischen Konflikt bot, die den Frieden in Europa nach den grundlegenden Schwierigkeiten der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege für Jahrzehnte sicherte. Bereits im Verlauf des Vortrages unterstrich er den später weiter ausgeführten Gedanken, dass die einzige empirische Erfahrung der Politik aus der Untersuchung der Geschichte kommt und dass das Metternichs System zeigt, dass Frieden nur dann möglich ist, wenn man sich um eine solche Ordnung bemüht, an der alle Interesse haben.
Den zweiten Hauptvortrag hielt Zoltán Fónagy, habilitierter Dozent am Institut für Geschichtswissenschaft der Eötvös Loránd Universität, der die wichtigsten Ereignisse und Lehren der politischen Karriere von Gyula Andrássy in einer Art Parallelbiographie beschrieb. Er betonte, dass die politische und diplomatische Karriere des vor 200 Jahren geborenen ungarischen Staatsmannes im Amt des ungarischen Ministerpräsidenten und späteren Außenministers der Monarchie gipfelte. Seine frühe diplomatische Erfahrung und seine europäische Erfahrung machten ihn nicht nur zu einem der führenden Gestalter des Österreichisch-Ungarischen Ausgleiches, sondern später auch zu einem der Gestalter der Außenpolitik der Monarchie. Seine Karriere als Ministerpräsident fiel mit der wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung Ungarns und mit der Grundsteinlegung für den Rechtsstaat zusammen, und als Außenminister nahm er an einem der bedeutendsten europäischen diplomatischen Ereignisse der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts teil, dem Berliner Kongress von 1878, auf dem die Balkanfrage gelöst wurde. Dem Referenten zufolge teilten Metternich und Andrássy die Fähigkeit, lokale Identität mit dem imperialen Gedanken in Einklang zu bringen und beide verfügten über eine kohärente Vision von Europa.
Im Rahmen des anschließenden Rundtischgesprächs, die von Gergely Prőhle moderiert wurde, sprachen Péter Szatmári, Vizerektor für Allgemein- und Entwicklungspolitik der Milton Friedman Universität, Róbert Fiziker, Historiker und Hauptarchivar des Ungarischen Nationalarchivs, und Tamás Magyarics, Historiker, ehemaliger Botschafter in Dublin, über das politische und diplomatische Wirken von Metternich, Gyula Andrássy und Henry Kissinger und stellten fest, dass ihr politisches Erbe neue Perspektiven für das Verständnis und den Umgang mit den Ereignissen unserer Zeit bieten kann.
Vor der Konferenz besuchten Bernd Posselt und seine Kollegen die Otto-von-Habsburg-Stiftung, wo er ein Oral-History-Interview über sein Leben, seine persönliche Beziehung zu unserem Namensgeber, die vergangenen Jahrzehnte der Paneuropa-Bewegung und seine Erfahrungen im Europäischen Parlament gab. Das Interview gibt auch einen interessanten Einblick in die Entwicklung der europäischen Politik der letzten Jahrzehnte und bietet wertvolle Informationen für ein umfassenderes Verständnis des politischen Profils von Otto von Habsburg. Nach Hans-Friedrich von Solemacher im März und Knut Abraham im Juni ist damit bereits zum dritten Mal in diesem Jahr ein enger Vertrauter des ehemaligen Thronfolgers und Europapolitikers zu Gast bei unserer Stiftung.
Fotos: Dénes Szilágyi (Universität für den Öffentlichen Dienst)